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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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...
    Frances sah zu ihrem Vater hinüber, in sein graues, versteinertes Gesicht. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, daß er sich vielleicht mit heftigen Selbstvorwürfen herumschlug. Das Kind war nicht geplant gewesen. Seine Unachtsamkeit so sehr wie Maureens. Am Ende gab er sich die Schuld an ihrem Tod.

    Irgendwann, am späten Nachmittag, waren endlich alle Trauergäste gegangen, und Stille senkte sich wieder über Westhill. Victoria hatte sich zu Adeline in die Küche verkrochen und weinte ohne Unterlaß. George saß oben in seinem Zimmer und streichelte Molly. Frances hatte mit Charles zusammen die letzten Gäste verabschiedet und war dann mit ihm ins Wohnzimmer zurückgekehrt. Mit Rücksicht auf ihn hatte sie sich bisher beherrscht, aber nun brauchte sie etwas gegen die schmerzlichen Gedanken. Sie schenkte sich ein großes Glas Whisky ein und zündete eine Zigarette an.
    »Am Tag, an dem wir deine Mutter zu Grabe getragen haben!« sagte Charles mißbilligend.
    »Es hilft, Vater. Nimm auch einen Schluck.«
    Charles schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will das nicht.«
    Schwer ließ er sich in seinen Sessel fallen. Hier hatte er jeden Abend gesessen, Maureen in dem Sessel gegenüber. Frances konnte sich an ihr Plaudern, ihr Lachen, ihre verliebten Blicke erinnern.
    Rasch kippte sie den Whisky hinunter. Sie wäre sonst in Tränen ausgebrochen, und noch immer wäre dies einem Dammbruch gleichgekommen. Sie füllte sich das Glas sofort ein zweites Mal. Wärme schoß durch ihre Glieder, erfüllte prickelnd ihren Körper. Ihr Magen krampfte sich für einen Moment zusammen; sie hatte kaum etwas gegessen heute, und ihre Eingeweide entrüsteten sich über diese grobe Attacke mit hochprozentigem Alkohol. Aber das ging rasch vorüber, zurück blieb ein Gefühl der Entspannung. Die Dinge verloren ein wenig an Härte, wurden verschwommen in den Konturen.
    »Wenn du schon nichts trinken willst, Vater, dann solltest du dich vielleicht hinlegen«, sagte sie. »Es war ein anstrengender Tag, und du hast in den letzten Nächten nicht geschlafen.« Sie hatte ihn stundenlang in seinem Zimmer auf und ab gehen hören. »Du siehst sehr müde aus.«
    »Ich würde keine Ruhe finden«, erwiderte Charles.
    Mit der Hand strich er sich über das Gesicht. Frances trat näher an ihn heran. Sie wagte es nicht, sich in den Sessel ihrer Mutter zu setzen, und blieb daher stehen. Sie streckte die Hand aus und berührte ihren Vater flüchtig an der Schulter. Sie konnte spüren, wie hart und verkrampft seine Muskeln waren.
    »Es ist sicher nicht gut, daß du immer noch in dem Zimmer schläfst, in dem... sie gestorben ist«, sagte sie sanft. »Du kannst mein Zimmer haben. Ich ziehe zu Victoria — falls die nicht sowieso nach Daleview zurückgeht.«
    » Ich werde das Zimmer nicht verlassen, das ich fast dreißig Jahre mit Maureen geteilt habe«, sagte Charles, und sein störrischer Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß er sich keinesfalls würde umstimmen lassen.
    »Wie du möchtest. Es war nur so ein Gedanke. — Vater, wir sollten über Weihnachten reden.«
    »Über Weihnachten? Du willst über Weihnachten reden?«
    »Wegen George.« Sie zog sich einen samtbezogenen Fußschemel heran und setzte sich darauf. Sie sah ihren Vater eindringlich an.
    »Es geht ihm nicht gut. Er hat Schreckliches durchgemacht. Er braucht jetzt das Gefühl, daheim angekommen zu sein. Seinetwegen müssen wir uns nun alle zusammenreißen. Verstehst du?«
    An seinen Augen erkannte sie, daß ihn das alles im Moment überhaupt nicht interessierte.
    George ist sein Sohn, dachte sie ärgerlich, er kann sich jetzt nicht derart verschließen.
    »Es muß ja kein fröhliches Fest werden. Das kann es auch gar nicht. Aber wir sollten Truthahn essen und alle Räume schmücken. Mutter... sie hätte das auch so gewollt.«
    »Mach alles, wie du denkst«, sagte Charles.
    Frances unterdrückte ein Seufzen. Eine Victoria, die nicht aufhören konnte zu weinen. Und Charles, der wie ein kranker, alter Mann im Sessel saß und nur Gleichgültigkeit an den Tag legte. Wie sollte George hier gesund werden?
    Sie schwiegen beide eine Weile. Nirgendwo im Haus war ein Laut zu hören. Nur das leise Knistern und Knacken der Holzscheite im Kamin störte die Stille. Frances konnte sich nicht erinnern, Westhill jemals so ruhig erlebt zu haben. Immer hatte ein Hund gebellt, immer hatte Maureen vor sich hin gesungen, Charles stundenlang politisiert. Victoria rannte die Treppen hinauf und

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