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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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gezeichnet von diesem Kampf.
    Du kleiner Todesengel, dachte Frances. Sie suchte nach einer Empfindung für dieses winzige Wesen, das ihre Schwester war; aber in all der Kälte und Leere, die in ihr war, konnte sie nichts finden.
    »Wie heißt sie?« fragte sie.
    Victoria sah sie verwirrt an. »Was?«
    »Das Baby. Sie hatten doch sicher einen Namen vorgesehen.«
    »Ja. Ein Junge sollte Charles heißen, wie Vater. Ein Mädchen Catherine. Sie heißt Catherine.«
    »Catherine«, sagte Frances langsam, und dann wurde ihr plötzlich schwindelig, sie stürzte zum Fenster, riß es auf und lehnte sich weit hinaus in den kalten Abend. Sie atmete tief.
    »Lieber Gott«, stöhnte sie, »hier drin erstickt man ja!«
    Der Schwindel ebbte ab. Sie drehte sich um. »Bist du denn überhaupt nicht auf die Idee gekommen, hier mal das Fenster aufzumachen?« fuhr sie Victoria an. Die schrak zusammen und sah so verstört aus, daß Frances ihre Unbeherrschtheit bedauerte.
    »Entschuldige. Ich...« Sie strich sich über die Stirn, auf der ein feiner Schweißfilm lag. »Es ist ein solcher Schock ...« Ihre Stimme brach. Mühsam würgte sie die Tränen zurück. Wenn sie jetzt weinte, hörte sie tagelang nicht mehr damit auf.
    »Ich muß hinunter und nach George sehen«, sagte sie.
    » George?«
    »Ich habe ihn mitgebracht. Alice und ich haben ihn aus einem Lazarett in Frankreich geholt.«
    »George ist hier!« Erleichterung zeichnete sich auf Victorias Gesicht ab. Ihr war anzusehen, daß sie sich von ihrem großen Bruder Trost und Hilfe versprach — etwas, das sie bei ihrer Schwester mit der gereizten, harten Stimme und den kalten Augen kaum zu finden hoffte.
    Aber Frances zerstörte diesen Anflug von Licht in der Finsternis. »George ist sehr krank. Er darf keinesfalls belastet werden, hörst du? Er kann keine Hilfe geben, er braucht selbst Hilfe!«
    »Was hat er denn?« fragte Victoria mit weit aufgerissenen Augen.
    »Er hat ein schweres Trauma erlitten«, erklärte Frances, und dann setzte sie an zu einer Schilderung dessen, was zwei Jahre Front mit all ihrem Grauen bedeuteten, aber sie unterbrach sich bald wieder. Victorias süßes Puppengesicht zeigte Erschrecken —und eine gewisse Verständnislosigkeit. In ihrer behüteten Welt, die aus Spaziergängen durch den Park von Daleview bestand, aus langen Leseabenden am Kamin und aus gelegentlichen Besuchen anderer Frauen, deren Männer in Frankreich waren, gab es keinen Platz für die Vorstellung davon, was Krieg hieß.
    Am nächsten war sie dem Krieg noch gekommen, als sie in London an den Treffen patriotischer Damenkränzchen teilgenommen hatte, bei denen Strümpfe für die Frontkämpfer gestrickt und Verbandsmull aufgewickelt wurden. Irgend jemand hätte dabei immer ein bißchen Klavier gespielt, es hatte Kaffee und Gebäck gegeben, und der neueste Gesellschaftsklatsch hatte für gute Unterhaltung gesorgt.
    Wie soll sie es begreifen? dachte Frances verächtlich. Sie hat doch nichts erlebt. Gar nichts!
    Das Zimmer war nun voll feuchter, kalter Luft. Victoria schlang fröstelnd beide Arme um sich.
    »Es ist schrecklich«, jammerte sie, »was bricht nur alles über unsere Familie herein? Ist George ... ist er nicht ganz bei sich?«
    »Er ist völlig abwesend. Er braucht jetzt sehr viel Liebe, Ruhe und Verständnis.« Würde er überhaupt begreifen, daß seine Mutter gestorben war?
    Frances gab sich einen Ruck. Sie konnte nicht ewig hier stehen und Maureen anstarren. Sie mußte nach George sehen und nach ihrem Vater.
    »Bleibst du heute nacht hier, Victoria?« fragte sie.
    Die Schwester nickte. »Ich möchte bei Mutter wachen.«
    Frances gab einen ärgerlichen Laut von sich. »Das nützt doch keinem etwas. Leg dich lieber ins Bett. Du siehst ganz grau aus vor Erschöpfung! «
    »Ich will bei Mutter bleiben, und das tue ich auch«, entgegnete Victoria mit ungewohnter Schärfe. Frances hatte sie so noch nicht erlebt.
    Überrascht sagte sie: »Wie du willst! «, und verließ das Zimmer.
    George saß nicht mehr am Fuß der Treppe. Frances sah sich suchend um. Da streckte Adeline den Kopf zur Küchentür heraus.
    »Mister George ist hier bei mir, Miss Frances«, sagte sie. »Ich koche ihm gerade eine schöne, heiße Suppe. Der Arme ist ja nur noch Haut und Knochen.«
    »Danke, Adeline.« Frances fühlte sich ein wenig getröstet durch Adelines schlichte, stetige Anwesenheit. »Ist mein Vater noch im Wohnzimmer?«
    »Ja. Der Doktor ist auch noch da.«
    Frances klopfte an die Wohnzimmertür und trat

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