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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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richtig Angst vor ihm.«
    »Er ist aber doch nicht gewalttätig?«
    Das war Charles. Müde wie stets. Aber auch besorgt. Victoria war der Mensch, der noch immer die stärksten Emotionen in ihm wachrufen konnte.
    »Nein, gewalttätig ist er nicht«, entgegnete Victoria, und fügte nach einem Moment des Schweigens bedeutungsvoll hinzu: »Noch nicht!«
    Frances draußen auf dem Flur verzog verächtlich den Mund. Dieses ständige hysterische Getue ihrer Schwester! In den vergangenen Jahren hatte sie sich zu einer Frau entwickelt, die ununterbrochen auf der Suche nach Mitleid war. Ihre Eheprobleme eigneten sich hervorragend, um sich überall bedauern zu lassen, und nach Frances’ Ansicht spielte sie alles übertrieben hoch.
    Als ob John sich jemals soweit vergessen würde, sie tätlich anzugreifen! Sie ging ihm auf die Nerven, das war alles, und er hatte sich einen ruppigen Ton angewöhnt, um sie auf Distanz zu halten. Was nichts nützte. Je abweisender er sich verhielt, desto mehr lief sie ihm nach und heulte ohne Unterlaß.
    »Ja, Kind, wie soll ich dir helfen?« war nun wieder Charles zu vernehmen, und bei dem Kummer und der Sorge in seiner Stimme stieg Wut auf in Frances.
    Zweieinhalb Jahre nach Maureens Tod hatte Charles zwar einigermaßen sein inneres Gleichgewicht wiedergefunden, aber er war natürlich nicht mehr der alte geworden, und es ging ihm nicht gut. Mußte ihm Victoria mit ihrem Gejammere noch obendrein das Leben schwermachen? Sie schaffte es einfach nicht, mit ihren Schwierigkeiten allein fertig zu werden, und ihr Vater, wie er heute war, schwach und unfähig, auch nur die mindeste Kritik an ihr zu üben, eignete sich besonders gut als Anlaufstelle. Stundenlang konnte sie klagen, ohne daß er je ungeduldig geworden wäre. Seine Vicky, sein Herzblatt!
    Frances, die, völlig auf sich gestellt, versuchte, die Farm wieder zum Laufen zu bringen, und die jedes Problem eisern von Charles fernhielt, hätte Victoria manchmal packen und ohrfeigen mögen. Sie hatte weit schlimmere Sorgen durchzustehen. Victoria machte sich ja keine Vorstellungen davon, wie oft ihnen in Westhill in den letzten Monaten das Wasser bis zum Hals gestanden hatte.
    Hätte sie meine Schwierigkeiten, sie wäre längst zusammengebrochen, die alberne, kleine Gans, dachte Frances hart.
    »Ach, niemand kann mir helfen, Vater, das ist ja das Schlimme«, sagte Victoria. »John hat sich so furchtbar verändert, seitdem er aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Ich erkenne ihn nicht wieder.«
    »Das ist mit vielen Männern passiert. Denke nur an George!«
    »Aber George ist wenigstens nicht aggressiv. Er hat sich von allem zurückgezogen, aber er sagt nie etwas Böses.«
    Ach, und das findest du besser? höhnte Frances im stillen. Ich möchte mal wissen, wie du dich aufregen würdest, wenn John irgendwo in einer Hütte säße und malte und sich nicht mehr um dich kümmerte. Du würdest noch mehr lamentieren als jetzt!
    »Vielleicht braucht er einfach Zeit«, meinte Charles.
    »Wieviel Zeit denn noch?« fragte Victoria aufgeregt. »Bald ist es ein Jahr her, seit der Krieg vorbei ist. Er ist als Sieger nach Hause gekommen. Was hindert ihn, sein altes Leben wieder aufzunehmen? Er könnte doch zurück in die Politik gehen. Aber nein, auch das will er nicht mehr. Es ist so verdammt...«
    »Vicky!« mahnte Charles sanft.
    »Weißt du, was ich manchmal glaube, Vater? Auf irgendeine absurde Weise vermißt John den Krieg. Es ist, als fiebere er danach, sich dort noch einmal beweisen zu können. Er ist so unruhig. Er findet seinen eigenen Frieden nicht, obwohl draußen längst Frieden herrscht.«
    Das erschien Frances, die auf Zehenspitzen den Gang entlang näher zur Tür schlich, um besser lauschen zu können, eine erstaunlich treffende Beschreibung von Johns Zustand — erstaunlich deshalb, weil sie von Victoria kam und diese für gewöhnlich wenig von dem begriff, was in anderen Menschen vorging.
    »Wenn der Krieg ihn ein Bein gekostet hätte oder einen Arm«, fuhr Victoria fort, »dann könnte ich verstehen, daß er hadert mit der ganzen Welt. Aber so ... wir könnten ein gutes Leben haben!«
    »Er war einmal ein richtig netter Junge«, sagte Charles.
    Victorias Stimme wurde um eine weitere Nuance schriller. »War! War! Manchmal denke ich, das Leben besteht nur noch aus ›Es war einmal‹. Es war einmal alles gut. Vor dem Krieg. Als Mutter noch lebte. Als wir alle zusammen waren, als alles friedlich war und sorglos!«
    Sie kann sich nicht zusammennehmen,

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