Das Haus Der Schwestern
angeschaut? Rauh und rissig, als sei sie ein Landarbeiter. Ihre Haare sind stumpf und ihre Haut verbrannt. Außerdem ist ihr Gesicht so mager geworden. Das macht sie viel älter, als sie ist.«
»Laß sie in Ruhe. Sie lebt ihr Leben und du deines. Wenn du sie so wenig magst, dann mußt du ihr aus dem Weg gehen.«
»Das werde ich tun. Vater, ich muß jetzt nach Hause. Es ist bald Zeit fürs Abendessen. Wahrscheinlich werde ich zwar sowieso wieder nur mit meiner Schwiegermutter allein sein, aber ...« Victoria ließ den Satz unvollendet.
Schritte näherten sich der Tür. Frances war wie der Blitz an der Treppe, huschte die Stufen hinauf. Natürlich knarrten die alten Dielenbretter.
»Hallo?« fragte Victoria. »Ist da jemand? Adeline?«
Frances beugte sich über das Geländer. »Nein. Ich bin es.« Sie genoß den Ausdruck von Erschrecken, der sich über das Gesicht ihrer Schwester breitete, beschloß jedoch, sich nicht anmerken zu lassen, daß sie viel zuviel gehört hatte.
»Ich bin gerade von George zurückgekommen.«
Sie klang so unbefangen, daß sich Victoria entspannte. »Oh, wirklich? Wie geht es ihm denn?«
»Den Umständen entsprechend recht gut. — Guten Tag, Vater!«
»Guten Tag.«
Charles war hinter Victoria auf den Gang getreten. Vater und Tochter standen dort dicht beieinander und blickten zu Frances hinauf. Es versetzte ihr einen Stich, zu sehen, wie hübsch Victoria wieder einmal war. Nach der neuen Mode trug sie ihr Haar jetzt kurz geschnitten, was sie sehr jung machte. Ihr Kleid reichte bis knapp über die Knie; es war aus hellgrünem Musselin mit einem tiefen Ausschnitt und einer grün-weiß gestreiften, seitlich gebundenen Schärpe um die Taille. Die Füße steckten in eleganten weißen Schuhen. Sie wirkte sehr zart und zerbrechlich. Sie und der vornehme Charles mit den silbergrauen Haaren und dem erstklassig geschneiderten Anzug gaben ein schönes Bild ab.
Ich muß wirklich wie eine struppige Katze neben ihnen wirken, dachte Frances.
»Ich wollte gerade gehen«, sagte Victoria. »Besuche uns doch wieder einmal in Daleview, Frances!« Es klang höflich und keineswegs so, als ob sie wirklich daran interessiert sei.
»In Ordnung«, erwiderte Frances ebenso unverbindlich. Sie wandte sich an Charles. »Vater, warte nicht mit dem Abendessen auf mich. Ich muß noch einmal weg.«
»Wohin denn?« fragte Victoria.
»Wir haben einen neuen Pächter. Ich muß ein paar Dinge mit ihm besprechen.«
Victoria sagte dazu nichts. Gefolgt von ihrem Vater, verließ sie das Haus. Frances lief hinauf in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Sie hatte schon zuviel Zeit verloren, sie mußte sich beeilen.
Eine halbe Stunde später parkte sie ihr Auto neben einem kleinen, steinernen Haus. Es stand auf der Hochebene, die sich an den Wald hinter dem Herrenhaus von Daleview anschloß, und gehörte ebenfalls zum Gut. Das Haus war alt; bei näherem Hinsehen bemerkte man, daß überall zwischen den Steinen der Lehm herausbrach und Moos und Flechten statt dessen in den Ritzen wucherten. Im Dach fehlten einige Schindeln. Das Haus mochte an die hundertfünfzig Jahre alt sein und mußte allzulange schon den rauhen Winden trotzen, die vor allem im Frühjahr und im Herbst über die Hochebene rasten. Hier oben ging es hart und unwirtlich zu, und es war nicht verwunderlich, daß schon lange niemand mehr in dem Haus wohnen mochte.
Frances stieg aus. Die Hitze des Tages hatte auch hier jeden Windhauch zum Erliegen gebracht. Kein Grashalm rührte sich. Drückende Schwüle hing über den Bergen. Es schien Frances schlimmer geworden zu sein, obwohl der Abend nahte, der Kühlung hätte bringen müssen. Sie meinte, kaum die Hand heben zu können, ohne in Schweiß auszubrechen.
Die Haustür öffnete sich.
»Ich nehme an, wir bekommen ein Gewitter«, sagte John und trat heraus.
Sie lächelte ihn an. Sie hatte ein schönes Kleid angezogen, sich die Haare gekämmt und dabei zum hundertsten Mal überlegt, ob sie sie abschneiden sollte.
Vielleicht würde es mich jünger aussehen lassen, hatte sie gedacht und ihr Gesicht voller Sorge im Spiegel gemustert.
»Ihre mageren Gesichtszüge machen sie älter, als sie ist«, hatte Victoria gesagt. Sie mochte recht haben, aber — zum Teufel mit ihr! Sie hatte zuviel um die Ohren, als daß sie hätte darüber nachdenken können, wie sie es anstellen sollte, daß ihre Wangen voller und ihre Nase weniger spitz wirkten.
Aber sie wußte, daß sie jetzt hübsch aussah. Sie wußte, daß John es
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