Das Haus Der Schwestern
gibt die Welt noch, dachte sie elektrisiert, und sie hat uns nicht vergessen!
Als sie ins Wohnzimmer kam, sah sie, daß Ralph schneller gewesen war. Er stand an dem kleinen Tisch am Fenster, hielt den Telefonhörer ans Ohr. Neben sich hatte er einen Leuchter mit vier brennenden Kerzen abgestellt, die das Zimmer genug erhellten, um zumindest die einzelnen Möbelstücke unterscheiden zu können. An den Wänden tanzten groteske Schatten.
»Sie haben sich sicher schon große Sorgen gemacht, Miss Selley«, sagte er gerade. Er sprach englisch. »Aber im Grunde ist alles in Ordnung — nur sitzen wir hier völlig fest, haben keinen Strom, keine Heizung, und bis eben funktionierte auch das Telefon nicht.« Er lauschte eine Weile, dann sagte er in beruhigendem Ton: »Nein, wirklich, regen Sie sich nicht auf. Das Haus ist nicht...«
Er wurde wieder unterbrochen. Barbara trat näher. Sie konnte nicht verstehen, was Laura am anderen Ende der Leitung sagte, aber sie hörte, daß sie schnell und aufgeregt sprach.
Ralph hatte Barbara nun auch bemerkt, er drehte sich um, wies mit der freien Hand auf den Telefonhörer und verzog genervt das Gesicht. »Laura«, bedeutete er lautlos. Barbara nickte.
»Nein, ich will Sie bestimmt nicht bloß beruhigen«, sagte Ralph, »aber ich bin ganz sicher, daß nichts am Haus kaputt ist. Nein, das Dach auch nicht. Es ist ja keine Lawine auf uns heruntergegangen. Nein . . . nein, Sie brauchen sich nicht herzubemühen. Sie wurden auch gar nicht durchkommen bis zu uns. Nein . . . ja, natürlich. Sie können jederzeit anrufen, selbstverständlich. Sicher. Einen schönen Gruß von meiner Frau. Ja. Auf Wiedersehen, Laura!«
Er legte auf. »Mein Gott, ich hatte den Eindruck, die steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Wobei es sie weniger zu interessieren schien, daß wir frieren und hungern. Sie hat nur Panik, daß mit dem Haus etwas sein könnte.«
»Ich nehme an, es kostet sie ziemlich viel Geld, das Haus zu unterhalten«, meinte Barbara. »Sie ist eine einfache Frau. Sicher bekommt sie nur eine kleine Rente. Jede hier anfallende Reparatur stürzt sie vermutlich in große Probleme.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, stimmte Ralph zu. Er hob fröstelnd die Schultern und griff nach dem Leuchter. »Komm, wir gehen in einen geheizten Raum. Ich halte diese dauernde Kälte immer schlechter aus.«
In der Küche war es, verglichen mit dem seit fast einer Woche ungeheizten Wohnzimmer, geradezu kuschelig warm. Ralph wies auf die Papiere, die verstreut auf dem Tisch lagen.
»Du kannst wohl nicht mehr aufhören, wie? Man hat ja den ganzen Tag über nichts gehört oder gesehen von dir! «
»Tut mir leid«, sagte Barbara schuldbewußt.
Wahrscheinlich hatte er Holz gehackt, während sie ihre Neugier befriedigte. Sie räumte die Blätter zusammen, um den Tisch für das Abendessen freizumachen. Abendessen! Die eine Scheibe Brot und das halbe hartgekochte Ei, das bißchen Käse, das jeder bekommen würde, verdiente kaum die Bezeichnung Abendessen.
»Ich habe die Skier ausprobiert«, berichtete Ralph. »Ich komme ganz gut damit klar und werde mich morgen auf den Weg nach Leigh’s Dale machen.«
»Aber jetzt, wo das Telefon . . .«
»Das hilft uns noch nicht viel. Wir sind nicht mehr völlig abgeschnitten, aber Nahrungsmittel können sie uns durch die Leitung auch nicht schicken.«
»Aber es schneit nicht mehr. Bald wird ein Schneepflug die Wege freimachen.«
»Sicher. Aber ich weiß nicht, wann das sein wird. Vielleicht dauert es noch drei Tage. Ab morgen früh haben wir außer einem Ei, einem Rest Käse und etwas Marmelade nichts mehr zu essen. Und ich habe absolut keine Lust, noch länger zu hungern.«
»Du hast dich vollkommen hysterisch aufgeführt«, sagte Marjorie mißmutig, »ich wette, du gehst diesen Leuten ganz schön auf die Nerven.«
»Ich habe doch nur ganz kurz mit ihm gesprochen«, verteidigte sich Laura.
Sie hatte vor Aufregung rote Flecken auf den Wangen. »Meine Güte, ich bin ganz durcheinander. Ich dachte natürlich, ich bekomme wieder keine Verbindung. Ich konnte es gar nicht fassen, als sich plötzlich jemand meldete.« »Du führst dich auf wie der erste Mensch, der je telefoniert hat. Wirklich, Laura, es ist schlimm mit dir. Alles mußt du zu wichtig nehmen.«
»Du verstehst mich nicht. Du kannst das auch gar nicht verstehen. «
Laura bewegte sich endlich von dem Telefontischchen im Flur weg, vor dem sie bislang wie angewurzelt stehengeblieben war. Sie kam in die Küche,
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