Das Haus Der Schwestern
konnte es auch nicht sein. Ihr Job bestand darin, auf juristischer Ebene die Kastanien für sie aus dem Feuer zu holen, mit dem privaten Scherbenhaufen mußten sie selbst zurechtkommen. Aber es waren auch nicht eigentlich Schuldgefühle, die sie plagten. Es war das frustrierende Gefühl, scheinbar gesiegt und letztlich doch verloren zu haben. Das Leben folgte eigenen Gesetzen, ein richterlicher Freispruch konnte dabei zur Bedeutungslosigkeit verblassen. So oder so mußten die Schulden früher oder später bezahlt werden. Auch Kornblum hatte dem nicht entgehen können.
Ralph lehnte in der Küche am Spültisch und versuchte mit einem Brandy den Ärger auf seine Mutter hinunterzuspülen. Er sah Barbara sofort an, daß irgend etwas geschehen war.
»Was ist los?« fragte er.
Barbara nahm sich ein Glas und schenkte sich ebenfalls einen Brandy ein.
»Kornblum hat sich erschossen. Meine Mutter hat es mir gerade erzählt. Es stand in der Zeitung.«
Ralph mußte einen Moment überlegen. »Kornblum? Ach, Kornblum ! Der Bürgermeister, dem man den Prostituiertenmord anhängen wollte!« «
»Ja, und die Anklage wurde fallengelassen; aber seine Frau war natürlich alles andere als entzückt darüber, was ihr Mann seit Jahren so getrieben hatte. Die Zeitung deutet an, er habe sich erschossen, weil seine Frau eine Versöhnung rundweg abgelehnt habe.« Sie schwieg einen Moment und setzte dann leise hinzu: »Das ist doch kein Grund, sich zu erschießen! «
»Es geht dir ziemlich nahe, oder?«
»Du weißt, es ist immer ein besonderes Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant. Wenn es gut läuft, entsteht viel Vertrauen dabei.«
Sie dachte nach. »Mit Kornblum war es zunächst sehr schwierig«, erinnerte sie sich. »Er konnte sich mir einfach nicht öffnen. Der Mann bestand nur aus Angst und Mißtrauen. Und irgendwann plötzlich brach dann das Eis. Ich weiß gar nicht, warum; vielleicht begriff er, daß ich wirklich seine einzige Verbündete war und daß ich ihm nur helfen konnte, wenn er absolut ehrlich zu mir war. Damit waren die Schleusen geöffnet. Er lebte ja seit Jahren mit der ständigen Heimlichtuerei, es war wohl eine Befreiung für ihn, sich alles von der Seele zu reden. Er wurde mir sehr vertraut. Ich meine, ich konnte begreifen, was in ihm vorging.«
»Eigentlich ist er aber doch genau das gewesen, was du verachtest. Nach außen der angepaßte, ehrbare Bürger, und dahinter abartig genug, seine freie Zeit im Bordell zu verbringen. Normalerweise verabscheust du solche Menschen.«
»Das stimmt. Aber wenn ein Mensch dir alles von sich erzählt, beginnst du einfach, auch die Dinge zu verstehen, denen du bis dahin vielleicht negativ gegenübergestanden hast. Er hatte seine Geschichte, die erklärbar machte, warum er so war, wie er war.«
»Auf jeden Fall«, sagte Ralph, »brauchst du dir absolut nichts vorzuwerfen. Was du tun konntest für ihn, hast du getan. Er hat einen Freispruch bekommen, mehr konnte er nicht verlangen. Seine zerrüttete Ehe war nicht mehr dein Problem.«
»Ich werfe mir nichts vor. Es hat mich nur... erschüttert. Vielleicht erschüttert es einen immer, wenn sich jemand, den man kennt, das Leben nimmt. Viel mehr, als wenn er eines natürlichen Todes stirbt. Man fragt sich, wie groß, wie überwältigend die Verzweiflung gewesen sein muß, die ihn erfüllt hat. Meinst du nicht? «
Er sah sie nachdenklich an; wie stets war eine Zärtlichkeit in seinem Blick, die sie schuldbewußt machte.
»Es ist sicher so«, sagte er.
Sie schwiegen beide eine Weile, dann fragte Barbara plötzlich: »Warst du eigentlich immer überzeugt, daß du deinen Beruf für alle Zeiten ausüben würdest?«
»Wie meinst du das?« fragte Ralph überrascht.
»Na ja, bis du dich zur Ruhe setzt, eben. Daß du bis dahin immer als Anwalt tätig sein wirst.«
»Ich habe nichts anderes gelernt.«
»Man kann ja auch Dinge tun, die man nicht gelernt hat.«
»Ich weiß wirklich nicht, worauf du hinauswillst.« Er schien beunruhigt. »Ich meine, gerade du! Für dich ist dein Beruf doch dein Leben. Es gab nie etwas Wichtigeres für dich. Deshalb hätte ich nie gedacht, daß eine Frage, wie du sie mir gerade gestellt hast, überhaupt in deinem Kopf herumspuken könnte.«
»Manchmal geht mir mein Beruf einfach nur noch auf die Nerven«, sagte Barbara, und zu ihrem eigenen Entsetzen brach sie im nächsten Moment in Tränen aus.
In der kuscheligen Wärme ihres Bettes fand sie langsam ihre Ruhe wieder, aber das Gefühl der Bedrückung
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