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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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neulich nachts etwas danebenbenommen haben«, sagte sie nun, »alle berichten davon nur mit schreckerfüllten Augen. Victoria hatte Angst vor dir, und auch Sarah dachte, du tust deiner Frau womöglich etwas an!«
    »So ein Unsinn«, sagte John und trommelte mit den Fingern ärgerlich auf der Stuhllehne. »Ich hatte zuviel getrunken, das ist alles. Ich bin noch nie auf Victoria losgegangen, in den ganzen achtundzwanzig Jahren nicht. Sie hat einen schrecklichen Hang, die Dinge zu dramatisieren.«
    »Du sollst in der Bibliothek einen Stuhl zertrümmert haben.«
    »Kann sein. Vielleicht waren es auch zwei. Lieber Himmel, man tut Dinge, wenn man betrunken ist, für die man sich schämt am nächsten Morgen, nicht? Aber ich habe gewiß niemanden angegriffen. «
    »Sie hatte es schwer mit dir in den letzten Jahren.«
    »Ich weiß.« Er leerte sein Glas in einem Zug, starrte dann hinein, als gebe es eine Chance, noch etwas darin zu finden. Frances wußte, daß er überlegte, ob es unklug wäre, sich etwas nachzuschenken.
    »Ich habe sie schlecht behandelt, und das hatte sie nicht verdient«, sagte er. »Als ich aus dem Krieg zurückkam, hatte ich mehr und mehr das Gefühl, sie nicht ertragen zu können. Ich war ein anderer geworden, und sie saß noch ebenso großäugig und lieblich da wie zuvor und meinte, wir könnten da weitermachen, wo wir aufgehört hatten. Sie hatte nichts von dem begriffen, was in den vier Jahren dazwischen in der Welt vorgegangen ist.«
    »Wie sollte sie denn auch? Sie saß hier auf Daleview und schlug sich Tag und Nacht mit der Frage herum, warum sie keine Kinder bekommt. Was tatsächlich drüben in Frankreich passierte — davon ist doch kaum etwas bis hierher vorgedrungen.«
    »Frances, das ist bei Victoria gar nicht der springende Punkt. Zu ihr kann gar nichts vordringen, weil sie nichts interessiert. Außer Mode und Gesellschaftsklatsch. Das ist auch das einzige, wovon sie etwas versteht.«
    Frances lächelte böse. »Das wußtest du, bevor du sie geheiratet hast.«
    Er warf ihr einen langen Blick zu, drehte das leere Glas zwischen seinen Händen. Nur wenige Minuten noch, und er würde sich nicht mehr zurückhalten können — er würde aufstehen und sich sein Glas erneut füllen.
    »Ob du es glaubst oder nicht«, sagte er, »ich habe sie damals nicht geheiratet, um dir eins auszuwischen. Eine Zeitlang war ich wirklich entschlossen, mit ihr ein gutes Leben zu führen. Ich wußte, daß sie oberflächlich ist und nicht allzu intelligent, aber sie war sehr liebenswert und irgendwie . . . berechenbar. Das warst du nun überhaupt nicht, und davon hatte ich genug. Vielleicht, wenn der Krieg nicht ausgebrochen wäre, wenn ich nicht in Frankreich diesen furchtbaren Fehler begangen hätte . . . Ich hätte meine politische Karriere weiterverfolgt, und sie hätte mich nach Kräften unterstützt. Auf ihre Loyalität hätte ich immer zählen können, das wußte ich. Irgendwie hat mich der Krieg aus der Bahn geworfen. Ich meine, ich lebe nicht in einer Hütte wie dein Bruder und male auch nicht solche alptraumhaften Bilder. Mich macht dafür das hier fertig.« Er hob sein Glas, in dem gerade der letzte Eiswürfel dahinschmolz.
    »Ich habe so viel gesoffen in den letzten zwanzig Jahren, daß ich mich jeden Tag wundere, daß ich noch lebe. Ich bin auch erstaunt, daß hier auf Daleview alles noch einigermaßen funktioniert. Ich habe gute Leute. Ich selbst kann mir kein einziges Lorbeerblatt mehr anheften für das, was hier noch seinen Lauf geht.«
    Frances erwiderte nichts. Sie sah nur in den Park hinunter, in dem früher um diese Jahreszeit die Herbstblumen ein Meer aus feurigen Farben gebildet hatten. Der Verfall war sichtbarer, als es John offenbar bewußt war. Zwischen den Steinen auf der Terrasse wuchsen dicke Polster aus Moos, und irgendwelche glitschigen, grünen Flechten bedeckten die Balustrade ringsum. Frances hob fröstelnd die Schultern. Die Luft war ohnehin frisch an diesem Tag, trotz der Sonne, aber hier im Schatten dieses riesigen, steinernen Hauses wurde es wirklich kalt. Es fiel Frances wieder ein, daß sie zeitlebens von diesem Frösteln befallen gewesen war, wann immer sie sich in Daleview aufhielt.
    »Irgendwann wurde sie mir zuviel«, fuhr John fort, »ihr süßes Gesicht, ihre großen Augen, ihre Unfähigkeit, etwas von dem zu begreifen, was in mir vorging . . . Aber vielleicht wurde mir überhaupt alles zuviel. Ich habe mich selbst nicht mehr erkannt. Ich glaube, der Alkohol verbrennt

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