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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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deutschen Truppen, nur noch das Meer im Rücken gehabt hatten. 860 Schiffe und Boote sausten in ständigem Pendelverkehr auf dem Kanal hin und her und brachten die Soldaten auf die rettende Insel. Obwohl sie angeschlagen und unter Verlust ihrer gesamten Ausrüstung dort ankamen, wurden sie jubelnd gefeiert wie nach einem Sieg. Man hatte sie den Deutschen unter der Nase weggeschnappt. Man hatte den Deutschen gezeigt, daß sie mit den Engländern rechnen mußten.

    Selbst in Leigh’s Dale, wo das Leben immer einen verschlafenen Gang nahm und die übrige Welt ein gutes Stück entfernt zu sein schien, machte sich der Krieg bemerkbar. Die meisten jungen Männer waren eingezogen worden, bis auf einige wenige, die auf ihren Farmen unabkömmlich waren; schließlich mußte die Versorgung der englischen Bevölkerung auf irgendeine Weise gewährleistet bleiben.
    Leigh’s Dale hatte bereits einen Toten zu betrauern: Der Sohn des Pfarrers war während der Belagerung Dünkirchens im Bombardement der Deutschen ums Leben gekommen, unmittelbar bevor seine Einheit evakuiert wurde. Dem Vater konnte nur noch der Leichnam übergeben werden, was immerhin bedeutete, daß der knapp neunzehnjährige Junge in der Heimat begraben werden konnte. Das ganze Dorf, die ganze Umgebung nahmen an der Beisetzung teil. Alle wußten, daß hier um das erste Opfer geweint wurde, nicht aber um das letzte.
    Am 14. Juni fiel Paris. Die neu zusammengestellte Regierung Pétain bat angesichts des katastrophalen Zusammenbruchs um einen Waffenstillstand. General Charles de Gaulle, dem es gelungen war, nach England zu flüchten, erklärte, niemals werde er diese Kapitulation anerkennen. Im Verlauf der weiteren Jahre sollte er von seinem Exil aus die widerständischen Kräfte in Frankreich unterstützen und seine Landsleute immer wieder zum Kampf gegen die deutschen Besatzer aufrufen.
    Erste deutsche Bombenangriffe auf verschiedene Ziele in der Grafschaft Essex fanden statt; die Briten reagierten mit Angriffen auf Hamburg und Bremen. Ende Juni wurden die britischen Kanalinseln von den Deutschen besetzt. Im Juli kam es vermehrt zu Luftangriffen auf den Südosten Englands. Die Engländer begannen mit nächtlichen Angriffen auf deutsche Städte.

    Im August tauchte eine Fremde in Leigh’s Dale auf, eine Frau, die niemand kannte, niemand je gesehen hatte. Natürlich war sie sofort Mittelpunkt aller Klatschgeschichten und abenteuerlichster Vermutungen. Ein paar Tage lang hieß es sogar, sie sei eine Deutsche und vermutlich eine Spionin, und die ersten Rufe wurden laut, man solle sie am besten aus dem Dorf jagen oder ihr »zeigen, was mit einer passiert, die Engländer an Deutsche verrät«. Die Besonneneren wiesen sogleich mit Recht darauf hin, daß es für eine Spionin ausgerechnet in Leigh’s Dale ganz sicher überhaupt nichts auszukundschaften gebe.
    Dann stellte sich heraus, daß die junge Frau Französin und vor den deutschen Besatzern emigriert war. Sie war im Gasthaus »The George and Dragon Inn« abgestiegen, wo auch Zimmer vermietet wurden, und hatte sich in der ärmlichen Dachkammer einquartiert, in der es in diesem heißen August unerträglich stickig wurde und die man im Winter nicht würde heizen können. Der Wirt des »George and Dragon« sagte, sie spreche ein recht ordentliches Englisch, aber mit einem eindeutig französischen, keineswegs deutschen Akzent, und sie habe einen französischen Paß vorgelegt. Sie hieß Marguerite Brunet.
    Frances hatte sich nicht um den Aufruhr gekümmert, den Marguerite Brunets Ankunft verursacht hatte. Sie hatte genug eigene Sorgen, denn durch den Krieg hatte sie eine Reihe junger Farmarbeiter verloren und merkte, daß an allen Ecken und Enden die Arbeit liegenblieb.
    »Dieser verdammte Hitler«, sagte sie wütend zu ihrem Vater, »es lief gerade alles so gut. Nun muß er Krieg nach allen Seiten anzetteln und uns alle in Schwierigkeiten bringen! «
    »Wie kannst du nur so egoistisch reden!« sagte Victoria, die zufällig in der Nähe stand und alles mitangehört hatte. »Uns geht es doch noch gut. Denk lieber mal an die armen Menschen in Frankreich, Holland oder Polen! Die haben es viel schwerer!«
    »Du hast überhaupt keine Ahnung! « entgegnete Frances zornig. »Du sitzt doch den ganzen Tag nur herum, läßt dich bedienen und jammerst deiner kaputten Ehe hinterher. Du hast ja nicht den Ärger am Hals, mit dem ich mich herumschlagen muß! «
    »Du bist eine wirklich widerwärtige, selbstgerechte Person!« giftete

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