Das Haus Der Schwestern
Victoria zurück. »Du kannst immer nur...«
»Mädchen! « sagte Charles müde. Seitdem er wußte, daß Victoria sich scheiden lassen würde, schien er noch mehr gealtert, noch mehr in sich zurückgezogen. Ihm war anzusehen, wie sehr ihn die ewigen Auseinandersetzungen seiner Töchter entnervten.
»Ich habe jedenfalls für heute nachmittag Marguerite Brunet zum Tee eingeladen«, verkündete Victoria. »Jemand muß sich ein bißchen um sie kümmern. Sie wirkt schrecklich verloren. Es muß schlimm für sie sein, so weit fort von der Heimat!«
»Ach, du bist aber schnell umgeschwenkt«, bemerkte Frances anzüglich. »Vor ein paar Tagen warst du noch, wie die meisten hier, überzeugt, sie sei eine deutsche Spionin. Und jetzt gleich eine Teeeinladung?«
Victoria zuckte mit den Schultern. »Man muß vorsichtig sein in diesen Zeiten. Aber nun, da ihre Identität feststeht, sollte man sie hier wie einen Gast aufnehmen.«
Frances war überzeugt, daß sich ihre Schwester aus purer Langeweile und Neugier Marguerites annahm; aber später wurde ihr klar, daß es Victorias Einsamkeit war, die sie zu dieser Freundschaftsgeste bewogen hatte. Victoria bot Hilfe an, aber in Wahrheit brauchte sie selbst Hilfe. Es war ihr letztlich nur der Ausweg geblieben, sich von John zu trennen, aber sie verzweifelte beinahe daran.
Fast jeden Morgen erschien sie mit verweinten Augen beim Frühstück, wo sie dann nur an ihrem Kaffee nippte und kaum Toast und Ei anrührte. Ihr bleiches Gesicht verriet, daß sie nur selten einmal Schlaf fand. Ihr Leben war vor langen Jahren aus den Fugen geraten, und sie hatte alle ihre Kräfte verbraucht, indem sie viel zu lange eine Schlacht kämpfte, die sie doch von vorneherein verloren hatte. Die endgültige Niederlage schmerzte und wurde von einer tiefen seelischen Erschöpfung begleitet, in der es Victoria kaum gelingen konnte, sich gegen die bedrohliche Finsternis in ihrem Innern zur Wehr zu setzen.
Sie hatte niemanden, mit dem sie wirklich hätte sprechen können: Ihr Vater verurteilte ihren Entschluß, die Ehe mit John zu beenden, nach wie vor und wollte nichts darüber hören. Frances dachte nur an die Farm, lief gereizt und nervös herum und machte ein so grimmiges Gesicht, daß es niemand gewagt hätte, sie mit persönlichen Problemen zu behelligen. Blieb nur Adeline, aber sie war eine alte Frau, die zudem nie verheiratet gewesen war und vieles einfach nicht begriff, was Victoria über John sagte.
Erst nach Jahren wußte Frances, sie hätte es begrüßen müssen, daß sich Victoria um die Freundschaft der fremden Französin bemühte ; stellte es doch einen allerersten Versuch dar, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.
Aber in jenem August 1940 konnte sie nicht großmütig sein, und es ärgerte sie, daß sich Victoria den Mantel der Nächstenliebe umhängte, nur um sich wichtig zu machen und in den Privatangelegenheiten anderer Leute herumzuschnüffeln.
»Ich warte verzweifelt auf irgendeine Nachricht von meinem Mann«, sagte Marguerite Brunet.
Sie sprach ein sehr korrektes Englisch mit einem starken französischen Akzent. Sie war hübsch: dunkelhaarig und dunkeläugig, grazil und trotz der Ärmlichkeit ihres abgetragenen Sommerkleides von einer anziehenden Eleganz, die aus ihrer Haltung, ihren Bewegungen rührte. Victoria hing an ihren Lippen. Frances, die nur guten Tag sagen und dann gleich wieder hatte gehen wollen, dann aber doch im Zimmer geblieben war, hörte ihr ebenfalls zu. Charles, in seinem alten Sessel, schien lebendiger als sonst.
»Die Deutschen haben ihn verhaftet an dem Tag, nachdem Paris gefallen war«, fuhr Marguerite fort. »Sie kamen in den frühen Morgenstunden, als wir noch schliefen. Er durfte nichts mitnehmen, nicht einmal ein paar wärmere Sachen für die Zeit, wenn es kälter wird.«
»Vielleicht ist er zurück, ehe der Herbst kommt«, meinte Victoria.
Marguerite lächelte traurig. »Das glaube ich nicht.«
»Was war der Grund für die Verhaftung?« fragte Frances.
»Fernand — mein Mann — arbeitete seit Jahren von Frankreich aus gegen die Nazis. Er war Mitglied einer Fluchthelferorganisation, die verfolgte Menschen in Deutschland über die Grenze nach Frankreich brachte. Jahrelang hat er mir nichts davon erzählt, aber ich merkte natürlich, daß er etwas geheimhielt und daß er nächtelang nicht nach Hause kam. Ich dachte schon an eine andere Frau . . .«
Sie biß sich auf die Lippen. Leise fügte sie hinzu: »Heute wünschte ich, es wäre so
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