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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Beschäftigung zu suchen«, fuhr er sie an.
    Ohne ein weiteres Wort drehte sich Barbara um und stürmte aus dem Schuppen, schlug die Tür so heftig hinter sich zu, daß eine Wolke von Schnee vom Dach rutschte. Sollte er doch machen, was er wollte! Sollte er sich ein Bein abhacken, den Arm auskugeln oder einem Herzschlag erliegen! Die ganze Schneekatastrophe war nicht ihre Schuld, und sie würde seine schlechte Laune darüber nicht einfach wegstecken. Es war eben kein Frieden zwischen ihnen möglich — außer, sie gingen sich aus dem Weg. Vermutlich war es das letzte, was ihnen hätte passieren dürfen, daß sie zusammen einschneiten und auf Gedeih und Verderb miteinander in einem Haus aushalten mußten — und das auch noch frierend und mit zunehmend hungrigen Mägen.
    Sie blieb einen Moment stehen, mitten im Schneegestöber auf dem kleinen Trampelpfad, den sie mit vereinten Kräften geschaffen hatten. Ihr war noch warm — von der Arbeit und von der Wut. Sie blickte am Haus hinauf. Dunkler, unregelmäßig geformter Kalkstein bildete die massiven Wände. Mit weißem Holz eingefaßte Sprossenfenster vermittelten einen freundlichen, anheimelnden Eindruck. Zwischen zwei Fenstern im ersten Stock entdeckte Barbara die Reste eines hölzernen Gitters, eines Spaliers für wilden Wein offenbar. In der Vergangenheit war das Haus, oder zumindest seine Rückseite, wohl bis unter das Dach zugewachsen gewesen. Hier hinten lag auch der weitläufige Garten. Barbara erinnerte sich, am gestrigen Tag im letzten Dämmerlicht die steinerne Mauer gesehen zu haben, die nun völlig verschwunden war unter dem Schnee.
    Urplötzlich hatte Barbara eine Vision: Da war das Bild eines warmen Sommerabends, von Kindern, die im Garten zwischen den Obstbäumen spielten, einer jungen Frau, die auf der Mauer saß, die Finger in das Moos grub, das zwischen den Steinen wuchs, die Augen geschlossen hielt und den warmen Wind in ihrem Gesicht spürte. Das Haus war voller Stimmen und Leben, nicht länger nur erfüllt vom Schweigen und der Einsamkeit einer alten Frau, die zu geizig war, Vorräte zurückzulassen, wenn sie verreiste, und auf die niemand wartete, wenn sie wiederkam. Das Haus hatte seine Geschichte, und Barbara war sicher, daß sie zu vielen Zeiten freundlicher ausgesehen hatte als heute.
    »Oder vielleicht auch manchmal schlimmer«, murmelte sie.
    Das Bild des Sommerabends verschwand. Es schneite wieder, und schwere, dunkle Wolken hingen tief über den endlosen Feldern von Schnee. Der 24. Dezember. Und sie steckten hier fest, hatten kaum etwas zu essen, und Ralph geriet in eine Krise, weil er kein Holz hacken konnte und sich offenbar als Mann disqualifiziert fühlte. Er hatte so gequält ausgesehen.
    Sie schüttelte den Kopf, als könne sie sein Bild dadurch loswerden.
    Fröhliche Weihnachten, dachte sie.

Mittwoch, 25. Dezember 1996
    »... sind zahlreiche Ortschaften und einzelne Gehöfte völlig von der Außenwelt abgeschnitten«, schloß der Nachrichtensprecher mit gleichmütig klingender Stimme. Laura, die am Frühstückstisch vor einem noch völlig unberührten Teller mit Rühreiern saß, stand auf und schaltete das Radio aus, gerade als die ersten Töne von »Silent Night, Holy Night« erklangen. Sie war nicht in der Stimmung für Weihnachten. Sie machte sich zu viele Sorgen.
    Ausnahmsweise war sie einmal fast dankbar für die so überaus nüchterne Art ihrer Schwester Marjorie. Kaum etwas in der kleinen Wohnung deutete darauf hin, daß heute der 25. Dezember war. Auf dem Fensterbrett stand eine halb heruntergebrannte grüne Kerze in Form eines Tannenbaums, daneben lagen auf einem Pappteller die Plätzchen, die Laura gebacken und mitgebracht hatte. Ansonsten gab es keinerlei festliche Dekoration.
    »Kostet nur Geld«, pflegte Marjorie zu sagen, »und wozu soll ich mir die Mühe machen, Kugeln und Zweige und so einen Kram hier aufzubauen? Doch nur, um das alles ein paar Wochen später wieder wegräumen zu müssen. Und die Welt wird davon auch nicht besser!«
    In den Jahren zuvor hatte sich Laura wegen dieser Einstellung ihrer Schwester immer gegrämt, ohne je ein durchschlagendes Gegenargument zu finden. Sachlich gesehen, hatte Marjorie recht: Weihnachtsdekorationen waren teuer, machten Mühe und änderten nichts am deprimierenden Gesamtzustand der Welt. Aber sie gaben vorübergehend etwas Glanz und Wärme, und das, so dachte Laura, brauchte man einfach hin und wieder, um Kraft zu finden für den Alltag.
    Sie wußte, daß Marjorie schon in

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