Das Haus Der Schwestern
wirklich glücklich wirkte.
»Es muß ziemlich schlimm sein mit dem Schnee oben in Yorkshire«, sagte Laura bedrückt.
»Hier schneit es selten«, entgegnete Marjorie. Sie schaute noch immer hinaus. »Es wird bald regnen.«
»Vielleicht sollten wir vorher einen Spaziergang machen? Um ein bißchen hinauszukommen.«
»Du kannst gehen, wenn du willst. Ich habe keine Lust.« Marjorie wandte sich vom Fenster ab, kam zum Tisch und setzte sich schwerfällig an ihren Platz. Dann fuhr sie übergangslos fort: »Na, die werden dir schön das Haus auf den Kopf stellen, deine Mieter. Hoffentlich hast du deine Liebesbriefe gut verschlossen! « Sie lachte boshaft, wissend, daß Laura nie im Leben einen Liebesbrief erhalten hatte.
Laura war blaß geworden. »Du meinst, sie schnüffeln wirklich herum?«
Marjorie griff nach der Teekanne, schenkte sich Tee ein und verzog das Gesicht, als sie merkte, daß er kalt war. »Keine Ahnung. Aber was sollten sie sonst tun?«
»Das ist schon eigenartig«, sagte Barbara. Sie saß an dem kleinen Sekretär im Wohnzimmer, einen Stapel Papiere auf dem Schoß, die sie gerade einer Schublade entnommen hatte. Mit gekrauster Stirn studierte sie die verschiedenen Schreiben. »Seit 1986 hat Laura Selley nach und nach ziemlich viel Land, das zur Westhill Farm gehörte, an diesen unsympathischen Fernand Leigh verkauft. Und zwar — und das wundert mich so — für geradezu lächerlich wenig Geld!«
Ralph war gerade ins Zimmer gekommen, mit kältegeröteten Wangen und verschmutzter Kleidung. Er sah erschöpft und abgekämpft aus. »Findest du es gut, daß du in Dokumenten herumschnüffelst, die dich überhaupt nichts angehen?« fragte er. »Ich finde, du ...«
»Wir brauchen Papier«, unterbrach Barbara, »weil wir sonst kein Feuer in Gang kriegen. Ich habe überall gesucht, Ralph. Eine einzige alte Zeitung habe ich noch gefunden. Von der Fernsehzeitung ist nichts mehr übrig, und Bücher können wir natürlich nicht nehmen. Ich dachte, ich finde vielleicht in dem Sekretär etwas, das wir verbrennen können. Aber selbstverständlich nicht diese Kaufverträge ! «
Sie schob die Papiere alle wieder in die Schublade und stand auf. Es war eiskalt in diesem Raum. Barbara trug zwei dicke Pullover übereinander und Schafswollsocken an den Füßen, aber sie fror trotzdem. Außerdem verspürte sie ein nagendes Hungergefühl. Am gestrigen Heiligabend hatten sie die restlichen Spaghetti gegessen, ein Klacks für jeden und nur geeignet, den allergrößten Hunger kurzfristig zu stillen. Das einzig Erfreuliche an dem Abend war eine halbvolle Flasche Brandy gewesen, die in der hintersten Ecke eines Schranks im Eßzimmer stand und den spärlichen Spirituosenvorrat der offensichtlich erklärten Antialkoholikerin Laura Selley darzustellen schien. Der Brandy hatte ihnen etwas Wärme in die Glieder gejagt und dem Abend wenigstens den Hauch eines festlichen Anstrichs verliehen.
Heute früh hatte jeder eine Scheibe Brot bekommen, sie hatten sich ein hartgekochtes Ei geteilt und etwas von dem Käse gegessen. Sie hatten beschlossen, den Tag ohne Essen durchzustehen, am Abend die vier Kartoffeln zu kochen und sich dazu noch einmal Käse zu genehmigen. Aber schon jetzt fühlte sich Barbara ganz schwach vor Hunger.
Ralph streifte seine Handschuhe ab. »Ich habe noch ein bißchen Holz gehackt«, erklärte er. »So langsam komme ich in Übung. Übrigens schneit es wieder!«
Barbara sah zum Fenster hinaus, hinter dem die Schneeflocken wirbelten. » O nein! Ich habe es gar nicht bemerkt!«
Als sie morgens um neun Uhr aufgestanden waren — keinen von ihnen hatte es gedrängt, das Bett zu verlassen und ein karges Frühstück einzunehmen —, hatte sich ihnen draußen ein Bild von überwältigender Schönheit geboten. Am Himmel war keine einzige Wolke gewesen, er zeigte sich in einem kalten, arktischen Blau, hoch gewölbt und weit wie eine gewaltige Kugel aus gefärbtem Glas. Die Morgensonne warf ihr Licht über die endlos scheinende Fläche von Schnee, ließ sie glitzern und funkeln und einen rosigen Schein versprühen. Minutenlang hatten Ralph und Barbara ihre knurrenden Mägen vergessen. Stumm hatten sie hinausgeblickt, ergriffen und für einen Augenblick entschädigt für alle Strapazen.
»Ich gehe noch mal auf den Dachboden«, sagte Ralph, »vielleicht finde ich ein bißchen Holzwolle. Die könnte uns sehr nützen. «
»Sie scheint eine unheimlich penible Hausfrau zu sein«, sagte Barbara, »eine, die offenbar
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