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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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unterteilten. Kein Haus weit und breit als Westhill, und noch keine Botschaft von Frühling im kalten Wind. Für Frances war dieses Land die Heimat. Aber oft fragte sie sich, wie es auf einen Menschen wirken mußte, den das Schicksal entwurzelt und weit weggetrieben hatte von allem, was ihm vertraut war.
    Es wäre kein Wunder gewesen, wenn sich Marguerite einen Menschen gesucht hätte, an den sie sich anlehnen konnte, denn Victoria, sosehr sie sich bemühte, konnte dieser Mensch offenbar nicht sein. Intellektuell trennten die beiden Welten. Aber ausgerechnet John ... Mit seinem Hang zum Alkohol, seinem Zynismus, seiner Unberechenbarkeit? Wie sollte ausgerechnet er einer verletzten Frau Halt geben?
    An einem Morgen Anfang April kam Marguerite zum erstenmal nicht allein. Frances sah sie bereits vom Fenster aus und war erstaunt, eine zweite Gestalt neben ihr zu entdecken. Eine Frau, grauhaarig und etwas mollig, in einem braunen Mantel. Sie hatte sichtlich Schwierigkeiten, mit der energischen Marguerite Schritt zu halten. Frances überkam sofort ein eigenartiges Gefühl, das sie sich nicht erklären konnte.
    Sie lief hinunter und trat vor die Haustür. Es dauerte nicht lange, bis die beiden auftauchten. Marguerite war wie immer keinerlei Anstrengung anzumerken, nur ihre Wangen hatten sich leicht gerötet, der Wind hatte ihre Haare zerzaust. Die ältere Frau keuchte fünf Schritte hinter ihr her und sah völlig erledigt aus.
    »Meine Güte«, stieß sie hervor, »von unten denkt man gar nicht, daß es so steil ist hier herauf! «
    Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Frances sah, daß sie überhaupt nicht mollig war, wie es auf die Entfernung den Anschein gehabt hatte, ihr ungünstig geschnittener Mantel erweckte bloß den Eindruck. Sie war sogar recht dünn, und die Müdigkeit in ihrem Gesicht konnte nicht nur von dem Fußmarsch herrühren; sie hatte sich tief in ihre Züge eingegraben und mußte schon lange andauern.
    »Mrs. Parker«, stellte Marguerite vor, »Frances Gray.« Sie wandte sich an Frances. »Mrs. Parker hat in Wensley jemanden gefunden, der sie vom Bahnhof bis nach Leigh’s Dale in einem Wagen mitnahm.«
    »Ein Wagen mit lauter Schafen«, warf Mrs. Parker ein. »Ich fürchte, ich rieche noch danach.«
    »Im ›George and Dragon‹ fragte sie gerade den Wirt nach dem Weg zur Westhill Farm, als ich herunterkam, und ich bot ihr an, gleich mitzugehen. Es hat sie ziemlich strapaziert.«
    Es fiel Frances auf, daß Marguerite mit keinem Wort erwähnte, wer Mrs. Parker eigentlich war und was sie hierhergeführt hatte. Das ungute Gefühl verstärkte sich.
    »Möchten Sie einen Kaffee, Mrs. Parker?« fragte sie.
    »Lieber ein Glas Wasser, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte Mrs. Parker, und nun hielt sie es endlich für angebracht, mehr als nur ihren Namen preiszugeben: »Ich komme von der Jugendfürsorge, Miss Gray. Ich bin gestern aus London angereist.«
    »Dann kommen Sie wegen Laura und Marjorie Selley?«
    Mrs. Parker nickte. »Ja. Und leider bringe ich schlechte Nachrichten. «
    Frances hatte die Besucherin ins Eßzimmer gebeten, denn im Wohnzimmer hielt Marguerite den Unterricht für die Kinder ab. Daß jemand ihretwegen aus London gekommen war, hatte man ihnen noch nicht gesagt.
    Mrs. Parker brachte tatsächlich eine sehr schlechte Nachricht mit: Alice war tot.
    »Mrs. Selleys Tod liegt schon fast ein Jahr zurück«, sagte sie. »Im Mai 1941 kam sie bei einem Bombenangriff ums Leben. Sie war nicht zu Hause, sondern in einem kleinen Andenkenladen am Tower, in dem sie arbeitete. Es war spätabends und sie erledigte noch die Buchführung für den Besitzer, um ein paar Pfund extra zu verdienen. Ein Haus gleich daneben bekam einen Treffer ab. Durch die Erschütterung krachte ein Deckenbalken in dem Laden ein und erschlug Mrs. Selley.«
    »Ich habe es geahnt«, murmelte Frances, »mir war klar, daß etwas passiert sein mußte. Es paßte nicht zu ihr, sich plötzlich nicht mehr zu melden.«
    »Ihr Mann, dem man ihren Tod mitteilte, erwähnte mit keinem Wort, daß es noch zwei Töchter gibt, die nach Yorkshire evakuiert wurden. Unter uns«, Mrs. Parker senkte die Stimme, »ein eigenartiger Zeitgenosse. Ich meine, nicht daß er kriminell wäre oder so ... Aber er ist labil und ohne jede Initiative.«
    Genauso hatte Frances Hugh Selley auch immer empfunden.
    »Wir sind zur Zeit etwas überlastet«, sagte Mrs. Parker, »so viele Todesfälle, so viele Waisenkinder. Wir sind ziemlich spät dahintergekommen,

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