Das Haus Der Schwestern
nie so gesehen.«
»Sie sind schrecklich böse auf sie, nicht?«
»Ach, Laura, das ist doch jetzt gar nicht der Punkt.« Frances legte ihren Stift beiseite, rieb sich die Augen, die vor Müdigkeit brannten. »Natürlich bin ich böse auf sie. Aber vor allem habe ich Angst, was noch alles geschieht, wenn ich sie jetzt zum Bleiben überrede. Von Anfang an hat sich Marjorie gegen Westhill gesträubt. Ich weiß nicht, warum, aber sie wollte nie hierher, und ihre Wut darüber richtete sich gegen uns alle. Es hat einfach keinen Sinn. Letzten Endes kann man einen Menschen nicht zwingen, etwas zu tun, was er nicht möchte, und wenn man es doch versucht, geht es für alle schief aus. Marjorie hat mehrfach gedroht, wegzulaufen, zuletzt heute morgen. Vielleicht tut sie es. Was soll ich dann machen? Es ist einfach so...«, Frances lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, »es ist einfach so, daß ich keine Lust mehr habe, mir dauernd Sorgen machen zu müssen, was als nächstes geschieht. Mir ist diese Verantwortung zu groß. Du mußt versuchen, das auch zu verstehen.«
Laura nickte. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen vom Gesicht.
»Ich darf doch hierbleiben?« vergewisserte sie sich noch einmal.
»Das ist doch keine Frage. Selbstverständlich. Du hast alles hier ja auch immer ganz gerne gemocht, nicht?«
»Ich liebe es«, sagte Laura ernst, »ich liebe dieses Haus und das Land mehr, als ich meine Schwester liebe. Sonst ließe ich sie nie alleine gehen.« Sie drehte sich um und verließ das Zimmer.
Für Laura war dies eine ungewöhnlich dramatische Aussage, die Frances äußerst erstaunte; aber ihr blieb kaum Zeit, darüber nachzudenken, denn kaum war Laura verschwunden, erschien Victoria. Frances nahm an, daß sie vor der Tür gestanden und gewartet hatte, daß Laura wieder ging. Sie war nicht verweint, was seltsam anmutete bei einer Frau, die für gewöhnlich recht dicht am Wasser gebaut hatte. Sie wirkte sehr beherrscht.
Ohne Umschweife kam sie zum Thema. »Du schickst das Mädchen fort? Daraus darf ich schließen, daß das, was sie gestern abend gesagt hat, der Wahrheit entspricht?«
»Ich schicke sie nicht fort. Sie will weg.«
»Und das kommt dir äußerst gelegen, stimmt’s? Jedenfalls sieht es nicht so aus, als ob du den Versuch machen wolltest, sie zum Bleiben zu bewegen.«
»Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, weshalb ich es auch für besser halte, wenn Marjorie uns verläßt.«
Victorias Augen wurden schmal. »Was ist zwischen dir und John?«
»Nichts.«
»Nichts? Dann hat Marjorie alles erfunden?«
»Nein. Aber es ist trotzdem nichts. John kam zu mir, um mir etwas zu erzählen, und für einen Moment haben uns wohl beide die Erinnerungen an früher überwältigt. Vielleicht war es das Gewitter, das in der Luft lag, ich weiß es nicht.«
»Euer ›früher‹ ist lange her.«
»Ja. Deshalb spielt es ja auch keine Rolle mehr.«
Victoria stützte sich auf eine Stuhllehne. Die Falten, die von ihren Mundwinkeln zum Kinn liefen, traten an diesem Tag besonders scharf hervor.
»Ich habe mich manchmal gefragt«, sagte sie, »ob du es wohl jemals verwunden hast. Du und John, ihr wart doch wie eine Einheit. Untrennbar. Und dann gehst du weg, und er heiratet deine Schwester. Damals habe ich nicht viel darüber nachgedacht. Ich war so verliebt. So glücklich. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, an irgend etwas oder irgend jemandem zu zweifeln.«
Natürlich nicht, dachte Frances, Zweifeln war nie deine Stärke.
Sie merkte, daß ihre Schwester sie abwartend ansah. Leichthin sagte sie: »Himmel, wozu das jetzt? Was willst du hören?«
»War es ein harter Schlag für dich? Herzukommen und mich mit John als Brautpaar anzutreffen?«
Frances zuckte zusammen und merkte, daß es ihr eine Sekunde zu spät geglückt war, ihr Gesicht zu verschließen. Sie merkte es an Victorias Miene. Die Schwester hatte begriffen. War es ein harter Schlag, hatte sie gefragt. Und die Antwort in Frances’ Augen gelesen: Es war ein Schlag, der bis heute brannte. Schmerzhaft wie am ersten Tag.
»Ja«, sagte Frances, denn nichts anderes konnte sie jetzt sagen. »Ja, es war ein harter Schlag. Und ist es bis heute.«
Die Schwestern starrten einander an: Victoria verblüfft, weil sie keine ehrliche Antwort erwartet hatte, Frances abwartend.
Schließlich sagte Victoria: »Aha. Dann ist ja alles klar.«
»Ich weiß nicht, was jetzt klar ist.«
»Wahrscheinlich hast du noch während unserer Ehe ...« Victoria brachte den Satz
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