Das Haus Der Schwestern
ein Zettel dort, der verkündete, daß Hausieren hier unerwünscht sei. Frances fragte sich, ob wohl je ein Hausierer versucht hatte, hier etwas zu verkaufen.
Die Tür war nur angelehnt. Sie traten in den dämmrigen Flur, dessen Fußboden aus schwarzen und weißen Mosaiksteinen bestand, die in wilden, spiralförmigen Mustern angeordnet waren. Sie wiesen auf bessere Zeiten hin, die es hier einmal gegeben haben mochte; aber inzwischen fehlten überall Steine, waren Ecken herausgebrochen, und das Weiß vor lauter Schmutz kaum noch zu erkennen. An der in einem blassen Gelb gestrichenen Wand klebte eine Reihe von metallenen Briefkästen, von denen die meisten kein Türchen mehr hatten. Post steckte nirgendwo. Steile Holztreppen führten in schwindelerregende Höhen nach oben. Es gab ein Geländer, aber auch hier waren immer wieder große Stücke herausgebrochen, die Streben ragten wie kaputte Zahnstocher empor. Herrschte Vandalismus in dem Haus, fragte sich Frances, oder hatte einfach der Zahn der Zeit genagt, hatte nie jemand Zeit, Geld und Energie gehabt, dem Verfall Einhalt zu gebieten?
Auf einer der Stufen saß eine ältliche Frau, die dicken Beine mit den hervorquellenden Krampfadern von sich weg gespreizt, so daß man mühelos ihre verfärbte Unterwäsche betrachten konnte. Ihr verschossenes, grüngraues Kittelkleid war hochgerutscht und entblößte ihre Schenkel. Sie hatte schulterlanges, strähniges Haar, das ihr immer wieder ins Gesicht fiel und von ihr mit einer ungeduldigen Handbewegung hinter die Ohren geschoben wurde. Es stank nach Alkohol, aber Frances war nicht sicher, ob der Gestank von der Frau ausging.
»Entschuldigung«, sagte sie, »wohnen Sie hier?«
Die Frau starrte sie an. »Warum woll’n Sie das wissen?«
»Ich suche jemanden. Mr. Hugh Selley. Ich dachte, Sie könnten mir sagen, wo ich ihn finde.«
»Hugh?« Jetzt wurde der Gesichtsausdruck der Frau mißtrauisch, was sie eigenartig brutal aussehen ließ. »Woher soll Hugh eine wie Sie kennen? «
Frances wurde bewußt, daß sie wie ein Fremdkörper in diesem Haus wirken mußte. Sie trug ein karamelfarbenes Leinenkostüm und hatte Maureens Perlen umgelegt. Obwohl sie sich verschwitzt und zerdrückt fühlte, stach ihre Erscheinung gegen die Umgebung ab.
»Wo finde ich ihn? « fragte sie, die Frage der Fremden ignorierend.
»Ich bin seine Tochter«, sagte Marjorie.
Der Frau quollen fast die Augen aus dem Kopf. »Seine Tochter? Lieber Himmel! «
Ächzend stand sie auf. Ihr Kleid rutschte endlich nach unten. Sie war gar nicht so dick, wie es zuerst den Anschein gehabt hatte, sie war nur schwammig.
»Wo kommst du denn her? Hughs Tochter! Das gibt’s doch nicht! «
»Wo ist denn mein Vater?«
Schwerfällig kam sie die Treppe herunter. »Ich geh’ mal vor. Ich hab’ hier nur gesessen, weil man’s unten manchmal nicht mehr aushält, versteh’n Sie? Dunkles Loch.«
»Verzeihen Sie«, sagte Frances, der Düsteres schwante, »wer sind Sie eigentlich?«
Die Frau streckte ihr die Hand hin. Jetzt, aus der Nähe, ließ sich feststellen, daß sie nicht nach Alkohol roch. Der Gestank schien zwischen den Mauern zu hängen.
»Mrs. Selley. Gwen Selley.«
»Sie sind...«
»Wir haben im Februar geheiratet, Hugh und ich. Wußten Sie das nicht?«
»Ich hatte keine Ahnung«, sagte Frances erschüttert. Marjorie hatte es die Sprache verschlagen.
»Hat er nicht zwei Mädchen?« fragte Gwen.
»Die ältere Schwester möchte weiterhin bei mir in Yorkshire leben. Aber Marjorie hat sich entschlossen ... zu ihrem Vater zurückzukehren.«
Gwen Selley schien davon alles andere als begeistert zu sein.
Kein Wunder, dachte Frances. Da hat sie sich gerade einen Witwer geangelt und es sogar geschafft, von ihm geheiratet zu werden, und plötzlich taucht dessen halbwüchsige Tochter auf und erklärt, mit ihnen leben zu wollen. Wem wäre eine solche Entwicklung der Dinge schon willkommen?
Sie war entsetzt, daß Hugh Selley eine solche Frau geheiratet hatte. Eine Schlampe, eine gewöhnliche, derbe Person. Nach einer Frau wie Alice! Sie konnte es sich nicht erklären. Er war immer ein Einfaltspinsel gewesen, und sie hatte ihn weiß Gott nicht besonders leiden können — aber daß er so tief hatte sinken können! Durfte sie Marjorie hier lassen, bei dieser Frau?
Gwen stieg die finstere Treppe hinunter, die zum Keller führte. Die Hitze des Tages hatte hierher nicht vorzudringen vermocht. Dumpfe, kühle Luft schlug ihnen entgegen. Es roch abgestanden, modrig. Gwen
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