Das Haus Der Schwestern
das von einem Standpunkt, der außerhalb liegt, Frances«, sagte er, »was ganz natürlich ist. Aber ich bin verstrickt. Mich aus dem Krieg herauszuhalten — wenn das überhaupt möglich wäre —, würde für mich nicht in erster Linie bedeuten, dem Führer die Gefolgschaft zu verweigern. Es würde bedeuten, die anderen im Stich zu lassen. Sie in den Schlamassel hinausgehen zu lassen und selber in Sicherheit zu verharren. Brüder, Freunde ... sie sterben in den Schützengräben, und ich lasse es mir gutgehen daheim?«
»Sie tun mehr, als Sie tun müssen. Dieses England-Abenteuer...«
»Ich versuche eben auch, ein paar Dinge zu vergessen«, unterbrach er sie fast schroff, »über ein paar Dinge hinwegzukommen.«
Sie wußte, er sprach von seinen Brüdern.
»Manchmal«, sagte sie leise, »erscheint mir das ganze Leben wie ein einziges, bitteres Verhängnis. Man verfängt sich immer wieder und immer mehr.«
In seinen Augen stand eine Traurigkeit, für die er eigentlich zu jung war. »Ja«, sagte er, »das ist die Natur des Verhängnisses. Man entrinnt ihm nicht. Sosehr man es versucht.« Dann plötzlich sah er sie an. »Ich bin in gewisser Weise auch ein Verhängnis für Sie, nicht? Für Sie alle. Ich bin sicher, Sie wünschten, Laura hätte mich an jenem ersten September nicht im Schafstall gefunden und hergebracht!«
»Es ist eben passiert. Man kann einen Menschen nicht in einem Schafstall liegen und sterben lassen. Wir hatten keine Wahl, also brauchen wir nun auch nicht zu grübeln.«
»Sie hätten mich gleich ausliefern können.«
»Wir haben es nicht getan, und jetzt wäre es sowieso zu spät. Die ganze Sache darf nur nicht auffliegen.«
»Sie haben Angst!«
Es war eine Feststellung, keine Frage, und Frances nickte, weil es ihr albern vorgekommen wäre, ihre Furcht zu leugnen.
»Manchmal schon. Manchmal denke ich auch einfach nicht daran, was passieren könnte. Es kommt darauf an, daß alle dichthalten—und ich denke, das werden sie.« Sie überlegte kurz und fuhr dann fort: »Am meisten habe ich mich wegen Laura gesorgt. Ihr wäre zuzutrauen gewesen, daß sie in einem Brief alles ihrer Schwester erzählt. Und die hätte mir mit größter Wonne eins ausgewischt. «
Er zog eine Augenbraue hoch. »Tatsächlich?«
»Sie haßt mich. Keine Ahnung, warum. Am Tag, bevor Sie hier aufkreuzten, ist sie zu ihrem Vater nach London zurückgekehrt. Sonst wäre es gar nicht möglich gewesen, Sie zu verstecken. Sie hätte uns mit Sicherheit verraten.«
»Mir scheint, zwischen Ihnen allen hier brodeln eine Menge Emotionen.«
»Ja?«
»Na ja... ich will mich natürlich nicht einmischen, aber ich finde, zwischen Ihnen und Ihrer Schwester ist eine extreme Spannung spürbar. Man hat den Eindruck, da würde das berühmte Streichholz genügen, um eine Explosion losbrechen zu lassen.«
»Sie wissen wohl schon einiges über uns?«
»Victoria hat mir erzählt, daß ihr geschiedener Mann demnächst wieder heiratet und daß sie sehr darunter leidet.«
»Wirklich? Sie scheint aber viel Vertrauen zu Ihnen zu haben!«
»Es geht ihr schlecht. Ich habe das Gefühl, sie sucht ständig nach einem Menschen, dem sie ihr Herz ausschütten kann.«
Und dann sucht sie sich dafür ausgerechnet einen deutschen Spion aus, der sich bei uns versteckt, dachte Frances. Das Leben verläuft oft wirklich in eigenartigen Bahnen.
»Vier Frauen —bis vor wenigen Wochen noch fünf —, die in ziemlicher Abgeschiedenheit recht eng zusammenwohnen«, sagte sie nachdenklich, »das erzeugt vermutlich ständig Konflikte.«
Er nickte, und sie konnte ihm ansehen, daß er sich schon eine Menge Gedanken über sie alle gemacht hatte.
Und dann dachte sie plötzlich: Vier Frauen in einer solchen Einsamkeit, das bedeutet tatsächlich eine Menge Zündstoff — vor allem, wenn ein Mann dazukommt.
Am 30. September heirateten John und Marguerite. Es herrschte Krieg, und für beide war es die zweite Ehe, und so fand nur eine kleine Feier im Anschluß an die Trauung statt. An die Bewohner von Westhill war eine Einladung ergangen; trotz der pikanten Umstände mußte John die Etikette wahren. Victoria hatte sofort erklärt, daß sie natürlich nicht hingehen werde. Sie wolle weder John noch Marguerite sehen. Über letztere sagte sie, nie zuvor habe sie eine solche Verräterin erlebt, und sie denke nicht daran, zuzusehen, wie sie ihren Triumph auskosten werde.
»Wenn du nur immer alles übertreiben kannst!« sagte Frances. »Im übrigen verlangt kein Mensch von
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