Das Haus Der Schwestern
erschien sein Bild immer wieder in den Zeitungen. Er war es unverkennbar, jeder hätte ihn schnell identifizieren können. Seine Papiere, so hieß es, lauteten auf den Namen Frederic Armstrong, höchstwahrscheinlich habe er sich aber längst eine neue Identität zugelegt. Er sei bei einem Schußwechsel verletzt worden und habe vermutlich medizinische Hilfe in Anspruch genommen. Er sei Deutscher, zu Spionagetätigkeiten nach England gekommen. Er habe den achtzehnjährigen Sohn eines Bauern erschossen, um fliehen zu können.
»Ein Achtzehnjähriger!« sagte Frances. »Das macht die Dinge nicht einfacher!«
»Ich wünschte, das wäre nicht passiert«, entgegnete Peter.
Er war wiederhergestellt, hatte Kraft und Gesundheit zurückerlangt. Liebenswürdig und unaufdringlich bemühte er sich, nützliche Dinge im Haus zu erledigen und den Frauen, wo er nur konnte, zur Hand zu gehen. Er reparierte das Treppengeländer, strich die Fensterrahmen neu, befestigte lockere Dielenbretter im ersten Stock, brachte die Abflüsse im Bad in Ordnung.
Frances betrachtete seine Geschicklichkeit fasziniert.
»Sie stammen aus einer Familie, in der man doch sicher für diese Dinge Personal hatte«, sagte sie. »Woher können Sie das alles?«
Er hatte gerade ein Regal zusammengezimmert, das Adeline sich für die Küche gewünscht hatte. Er richtete sich auf und betrachtete sein Werk.
»Mein Vater hatte ein paar eiserne Prinzipien«, erklärte er, »eines davon lautete, daß man, selbst wenn man Dienstboten für alles und jedes hat, unbedingt in der Lage sein muß, die Dinge auch allein zu bewältigen. Von klein auf hat er meinen Brüdern und mir beigebracht, was er selbst an handwerklichen Fähigkeiten besaß, und das war nicht wenig.«
»War?«
»Mein Vater ist tot. Seit 1938. Lungenkrebs.«
»Und Ihre Brüder? Wie viele haben Sie?«
»Ich hatte zwei. Der ältere ist vor Moskau gefallen. Der jüngere ist aus Frankreich nicht wiedergekommen.«
»Dann hat Ihre Mutter nur noch Sie?«
»Ich habe eine kleine Schwester. So alt wie Laura. Im Augenblick ist sie die einzige, die Mutter geblieben ist.«
Er legte den Hammer weg. Sie standen in dem kleinen Schuppen hinter der Küche, in dem Peter das Regal gezimmert hatte. Durch die winzigen Fenster fiel nur wenig Licht. Es war Abend, und draußen verging einer der letzten warmen Tage des Jahres.
Sie betrachtete seine kräftigen, braungebrannten Arme, dann wanderte ihr Blick hinauf zu seinem Gesicht. Seine Wangen waren seit seiner Ankunft etwas voller geworden. Manchmal, das hatte sie schon beobachtet, blitzten seine Augen, verzog sich sein Mund zu einem entwaffnend fröhlichen Lächeln. Oft fiel ihm eine dunkle Haarsträhne in die Stirn; er hatte die Angewohnheit, sie mit einer ungeduldigen Handbewegung ungewöhnlich heftig zurückzustreichen. Seine Hände ...
Sie zwang sich, nicht an seine Hände zu denken. Es irritierte sie ohnehin schon, daß sie seine Attraktivität so bewußt wahrnahm.
Du bist alt genug, um seine Mutter zu sein, sagte sie sich streng.
»Sie sind so ein netter Junge, Peter«, sagte sie, wobei sie mit ihrer Wortwahl absichtlich den Altersabstand zwischen sich und ihm betonte. »Ich bringe das gar nicht in Einklang damit, daß...«
»Daß ich Deutscher bin?«
»Im Grunde sollte es einen gar nicht erstaunen, nicht? Zwei Völker führen Krieg, und auf einmal lebt man mit dem Begriff ›Feind‹. Aber dann trifft man jemanden aus dem anderen Volk und stellt fest, er ist ein ganz normaler Mensch und man kann sich durchaus verstehen. Das macht alles so absurd!«
»Krieg ist ja eigentlich auch absurd.«
»Diesen haben aber die Nazis angezettelt, und Sie...«
»Ich bin kein Nazi«, stellte er klar. »Ich bin nicht in der Partei.«
»Sie kämpfen für die Ideologie dieser Leute. Ihre beiden Brüder sind dafür sogar gefallen. Sie stellen sich in den Dienst der Nazis. Da macht es keinen großen Unterschied mehr, ob Sie selbst einer sind oder nicht.«
»Ich stelle mich in den Dienst meines Landes. Und Deutschland ist nun einmal mein Land. Irgendwie gehören ein Land und seine Menschen zusammen, in guten und schlechten Zeiten. Man kann sich nicht einfach raushalten.«
»Auch nicht, wenn... wenn ein ›großer Führer‹ Dinge befiehlt, die die halbe Welt ins Unglück stürzen?«
Etwas schwerfällig ließ er sich auf einer Kiste nieder. An der Art, wie er sein rechtes Bein von sich streckte, erkannte Frances, daß er dort noch immer leichte Schmerzen hatte.
»Sie sehen
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