Das Haus Der Schwestern
Haus.
»Was für eine Nacht!« sagte sie schaudernd. »Aber wenigstens schneit es nicht mehr!«
Obwohl es warm und gemütlich war in der Küche, konnte sie die eisige Kälte draußen fühlen. Sie wußte, daß sie Fernand anbieten mußte, bis zum nächsten Morgen in Westhill zu bleiben.
Eine dumme Situation, dachte sie nervös.
Nun, da sich ihr Magen satt und schwer anfühlte, wurde die Erinnerung an den Hunger bereits nebulös. Noch vor einer Stunde hätte sie Fernand umarmen mögen vor Dankbarkeit, jetzt wünschte sie, nicht in dieser Lage zu sein. Sie wünschte, sie wäre wieder allein. Oder Ralph wäre da.
Wovor hast du eigentlich Angst? fragte sie sich. Glaubst du, er fällt plötzlich über dich her?
Ihre innere Stimme sagte nein und schickte sich an, die Antwort zu geben, aber Barbara wollte sie gar nicht hören. Sie wußte auch so, wovor sie Angst hatte: vor sich selbst.
Rasch drehte sie sich um. »Ich denke, Sie sollten sich heute abend nicht mehr auf den Heimweg machen«, sagte sie sachlich. »Sie können hier übernachten und dann morgen früh aufbrechen.«
Er nickte. »Das Angebot werde ich gerne annehmen. Mich jetzt noch einmal drei Stunden durch den Schnee zurückzukämpfen — das ist eine ziemlich unangenehme Vorstellung.«
»Also, abgemacht. Möchten Sie Ihre Frau anrufen und ihr Bescheid sagen?«
»Sie wird sich das schon denken.« Er erhob sich nun ebenfalls. »Wissen Sie, was? Sie setzen sich gemütlich vor den Fernseher, und ich erledige den Abwasch.«
»Kommt nicht in Frage. Wir machen es genau umgekehrt.«
»Wir können es auch zusammen machen.«
»Ich habe die beste Idee«, sagte Barbara. »Wir lassen das Geschirr stehen und spülen es morgen früh.«
Sie räumten die Lebensmittel in den Kühlschrank und nahmen die zweite Flasche Wein mit ins Wohnzimmer, wo sie sich vor den Fernseher setzten und eine amerikanische Komödie ansahen. Es gelang Barbara nicht, sich wirklich zu entspannen; aber der Wein sorgte dafür, daß ihre Nervosität im Hintergrund blieb. Die ganze Zeit über hoffte sie inbrünstig, Ralph möge anrufen — und jetzt ging es ihr nicht mehr in erster Linie um ein Lebenszeichen, sondern darum, seine Präsenz zu spüren, seine Stimme zu hören, sich zu vergewissern, daß es ihn gab. Aber nichts rührte sich den ganzen Abend lang.
Irgendwann meinte Fernand: »Ich denke, ich gehe jetzt schlafen. «
Und sie erhob sich sofort und sagte: »Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer und wo Sie Bettwäsche finden.«
»Ja, danke«, erwiderte er und folgte ihr die Treppe hinauf.
Sie öffnete gleich die erste Tür auf der rechten Seite. Ein kleineres Zimmer, und auch hier brannte Licht, denn sie hatte ja jede Lampe im Haus angeknipst, um ihrem Mann den Weg zu weisen.
»Zum Glück gibt es hier wirklich jede Menge Schlafzimmer«, sagte sie mit einem nervösen Lachen, »und Bettwäsche werde ich Ihnen ...«
»Ich weiß nicht, was daran glücklich ist, daß es hier so viele Schlafzimmer gibt«, sagte er leise. Er faßte sie am Arm und drehte sie zu sich herum.
»Das geht nicht«, protestierte sie ohne jede Überzeugung.
»Und warum nicht?« fragte er und küßte sie.
Später dachte sie, daß auf eine fatale Weise ihre Hormone durchgedreht haben mußten. Vielleicht war das normal, nach eineinhalb Jahren völliger sexueller Enthaltsamkeit, obwohl sie die nie als negativ empfunden hatte. Sie war viel zu beschäftigt gewesen, um sich auch nur hin und wieder zu fragen, ob ihr Körper womöglich etwas vermißte. Irgendwie hatte Sex für sie immer etwas mit Disziplinlosigkeit zu tun gehabt. Er führte zu nichts, also konnte man es auch bleibenlassen und statt dessen an einem Plädoyer für den nächsten Tag feilen oder eine Akte durcharbeiten.
Etwas mußte ihr bisher entgangen sein.
Sie wußte nicht, wie sie aus ihren und er aus seinen Kleidern kam. Sie wußte nur, daß sie es vor Ungeduld fast nicht aüshielt. Es war genau das gleiche wie vorhin in der Küche, als sie am liebsten ihre Zähne in den Schinken geschlagen, mit den bloßen Händen den Braten in Stücke gerissen und sich in den Mund gestopft hätte. Es war die gleiche Gier, der gleiche Hunger. Die kultivierte, beherrschte Barbara verschwand irgendwo dahinter. Zurück blieb ein Wesen, das nichts anderes mehr wollte als die sofortige Erlösung.
Sie flüsterte ihm deutsche Worte zu, weil ihr Englisch sie verlassen hatte, aber Fernand schien sie trotzdem zu verstehen. Sie fielen auf das Bett, in dem er die Nacht allein hätte
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