Das Haus Der Schwestern
verbringen sollen, liebten sich zwischen bloßer Matratze und plustrigem Federbett, denn zum Beziehen waren sie nicht mehr gekommen. Irgendwann war Barbara noch der Gedanke durch den Kopf geschossen, Fernand zu fragen, ob er eigentlich die Haustür abgeschlossen habe, denn es war nicht völlig abwegig, daß Ralph doch noch auftauchte. Aber die Frage war längst verlorengegangen, und Ralph hatte sich zu den Dingen gesellt, die jetzt keine Rolle mehr spielten.
Sie hatte ihren Körper noch nie so erlebt. Sie hatte nicht geahnt, daß er solcher Empfindungen fähig war. Sie hatte nicht gewußt, wie es war, sich aufzulösen in Lust und für Sekunden nicht einmal den Tod zu fürchten. Schamlos und fordernd zu sein, abwechselnd zu betteln und es dann wieder zu genießen, wie er sie anflehte. Es war ihr gleichgültig, wie sie aussah, was er von ihr dachte, ob sie das Bett beschmutzten. Sie wollte sanften und schmeichelnden Sex, sie wollte harten und unsensiblen Sex, sie wollte Sex in allen Variationen. Und vor allem wollte sie, daß es nie endete.
Irgendwann konnten sie beide nicht mehr.
Sie lagen nebeneinander wie angeschossen und keuchten. Barbara schien es, als schmerze ihr Körper; aber es war ein Schmerz, den sie genoß, weil er bedeutete, daß sie lebte. Sie meinte, unter ihrem rasenden Herzschlag müsse das Bett erzittern. Ihr Gesicht war naß von Schweiß. Sie hatte während der letzten Stunde die Kontrolle über sich verloren, und damit war geschehen, was sie am meisten fürchtete.
Aber zu ihrer Überraschung war es nicht schlimm gewesen. Die Welt war nicht untergegangen, sie war nicht untergegangen. Es war eher so, als sei das Leben neu über sie hinweggeflutet, als habe sich die Natur geholt, was sie ihr genommen hatte, und es war ein gutes Gefühl. Ein so wunderbares Gefühl! Sie gehörte wieder dazu. Sie schwamm mit dem Strom, nicht dagegen. Es war, als habe ein langer, ermüdender Kampf geendet. Es war so erleichternd, daß sie leise stöhnte.
Fernand hatte ihr Stöhnen mißverstanden, und fast flehentlich bat er: »Nicht schon wieder! Nur eine kurze Pause!«
Sie kuschelte sich enger an ihn. Sie lag mit dem Rücken an seine Brust gepreßt, sein Arm umschloß sie warm und fest.
»Keine Angst«, flüsterte sie, »fürs erste bin ich auch ziemlich k.o.!«
Er lachte leise.» Kein Wunder. Ich habe noch nie eine Frau wie dich erlebt. Du bist ein Feuerwerk, weißt du das?«
»Ich dachte immer, ich sei frigide.«
»Guter Gott!« Er schien tatsächlich entgeistert. »Wer hat dir das denn eingeredet? «
»Niemand. Ich dachte es einfach.«
»Also, wenn du frigide bist, dann wünschte man sich, es wimmelte auf der Welt von frigiden Frauen. Hast du noch nie gehört, daß es am Mann liegen kann, wenn eine Frau keinen Spaß am Sex hat?«
Für einen Macho aus dem ländlichen Yorkshire schwang er erstaunlich fortschrittliche Sprüche, fand Barbara.
»So einfach war das in meinem Fall wohl nicht«, meinte sie nachdenklich.
Seine Hand spielte zärtlich an ihrem Ohr. »Erzähl mir von dir. Ich weiß ja gar nichts. Wer bist du, Barbara?«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, erwiderte sie.
Sie erzählte ihm in dieser Nacht, was sie niemandem seither mehr erzählt hatte: daß sie fett gewesen war und häßlich, daß kein Junge sie je angeschaut hatte. Fernand hielt sie immer noch im Arm und hörte ihr ruhig zu. Sie konnte seinen Atem in ihrem Nacken spüren und seinen Herzschlag an ihrem Rücken. Einmal fing sie an zu weinen, aber er störte auch ihre Tränen nicht. Er ließ sie weinen.
Sie hatte sich nie so offenbart, auch Ralph gegenüber nicht. Vor ihm oder auch im Freundeskreis hatte sie manchmal, wenn es im Gespräch um die Teenagerzeit ging, gesagt: »Damals war ich ein pummeliges Ding, mit dem keiner tanzen wollte!« Aber sie hatte dabei gelacht und in den Gesichtern der anderen gesehen, daß sie es für Koketterie und Übertreibung hielten, denn der schlanken Barbara, der schönen, eleganten, erfolgreichen, begehrenswerten Barbara konnte es ja nicht wirklich schlecht gegangen sein.
Wenn eine der Freundinnen dann ausrief: » Du warst mal pummelig und unansehnlich? Das glaube ich dir nicht! «, hatte sie sich riesig gefreut, denn genau diese Reaktion hatte sie provozieren wollen. Und doch war sie tief drinnen kalt und einsam geblieben, weil niemand das verletzte Kind in ihr sah und es tröstete.
Sie erzählte Fernand auch vom Selbstmord ihres Mandanten und heulte dabei schon wieder los, und Fernand
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