Das Haus Der Schwestern
Mal verloren, war hilflos und allein zurückgeblieben. Mit nichts in den Händen als dem Haus. Es hatte sie gequält, Fernand Leigh Stück um Stück Land abtreten zu müssen; aber sie hatte sich immer damit getröstet, daß sie die Farm ohnehin nicht betrieb und daß es daher keine Rolle spielte, ob sie ein paar Weiden mehr oder weniger besaß.
Allerdings hatte sie seit dieser Zeit vor Scham keinen Blick mehr auf Frances’ Photographie werfen können. Sie wußte, daß Frances den Kopf schütteln würde. Sie hatte kein Verständnis für Schwäche, hatte es nie gehabt. Laura konnte sie förmlich murmeln hören: »Warum mußte ich nur alles diesem hohlköpfigen kleinen Angsthasen Laura hinterlassen? Zu dumm, daß es keine andere Möglichkeit gab! Nun verpulvert sie alles, was einmal mir gehört hat! «
»Ich verspreche dir, das Haus gebe ich nicht her«, flüsterte Laura.
Aber Leigh wollte das Haus, das wußte sie. Von Anfang an hatte er es gewollt. Sie kannte ihn als rücksichtslos, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Schon stieg die Panik wieder in ihr auf. Am ganzen Körper begann die Haut zu jucken. Ruhig, ermahnte sie sich, ruhig.
Mit einiger Mühe wuchtete sie sich aus dem durchhängenden Sessel. Tödlich, dieses Ding, für ihre rheumageplagten Gelenke! Sie hatte lange dagesessen; es war draußen unterdessen hell geworden. Ein fahlgrauer Wintermorgen. Wolken, die neuen Schnee versprachen. Ein trübes, kaltes Licht.
Erst einmal mußte sie herausfinden, was diese Barbara wußte. Dann konnte sie das Problem Fernand Leigh angehen. Eines nach dem anderen. Zuallererst frühstücken. Eine Tasse heißer Tee ...
Doch sie ahnte, daß er ihr heute nicht helfen würde.
Barbara hatte lange und tief geschlafen, und als sie aufwachte, fühlte sie sich zunächst benommen und noch nicht in der Lage, klar zu denken. Draußen war es schon hell — soweit es an diesem Tag überhaupt hell werden wollte —, und da die Vorhänge nicht zugezogen waren, ließ sich im Zimmer alles erkennen. Schrank und Kommode, ein Spiegel, ein gewebter Wandteppich — das war nicht ihr Zimmer! Sie lag mollig warm unter einer dicken Federdecke, aber, wie sie nun feststellte, die Decke war nicht mit Bettwäsche bezogen, genausowenig wie Kopfkissen und Matratze.
Und in dem Augenblick, in dem sie verwirrt mit den Fingern das verblichene Muster auf der Matratze nachzeichnete, schwappte die Erinnerung über sie hinweg und brachte glasklare Bilder mit sich; und für einige Sekunden lag Barbara stumm und fassungslos im Bett und hoffte verzweifelt, daß es sich um einen Traum handeln möge, der nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte.
Aber statt dessen tauchten nur immer mehr Bilder aus der vergangenen Nacht in ihr auf, und ihr wurde schwindelig. Ein wildfremder Mann. Sie war mit einem wildfremden Mann ins Bett gegangen, von dem sie kaum etwas wußte, und was sie wußte, hätte sie unter allen Umständen abschrecken müssen. Aber nichts hatte sie abgeschreckt, im Gegenteil, fünf-oder sechsmal hintereinander hatte sie mit ihm geschlafen, hatte überhaupt nicht aufhören können, hatte sich verausgabt bis zur völligen Erschöpfung. Dieses Bett, in dem sie lag, mußte getränkt sein mit Schweiß und Sperma; denn den Anstand, wenigstens ihr eigenes Bett zu benutzen, hatte sie ja nicht mehr aufgebracht in ihrer Geilheit— sie dachte das Wort bewußt und und mit einer gewissen brutalen Zufriedenheit. Überdies hatte sie ihm auch noch eine ganze Reihe intimer Geheimnisse anvertraut und sich dabei gut gefühlt. Sie hatte sich überhaupt die ganze Zeit über gut gefühlt, erinnerte sie sich. Befreit. Von ihrem Schamgefühl, ihrer Unlust, ihrer klinisch-sterilen Sauberkeit.
Und jetzt?
Sehr gut, Barbara, sagte sie zu sich. Sämtliche Machos dieser Welt wären hingerissen von dir. Endlich ein lebendes Beispiel für ihre Primitivüberzeugung, daß alles, was eine lustlose Frau braucht, ein guter Fick ist, und schon sieht die Welt ganz anders aus!
Aber es stimmte eben nicht. Sie war immer noch sie selbst. Sie hatte eine Seite von sich erblickt, die sie nicht gekannt hatte, aber sie hatte sich selber nicht verlassen. Die Erde hatte sich gedreht seit dem Abend zuvor, es war wieder Tag, und Barbara war Barbara. Sie wußte nicht, was in sie gefahren war. Sie hatte ihren Mann betrogen, während er unterwegs war, um unter schwierigsten Bedingungen etwas zu essen für sie zu beschaffen, und Fernand Leigh hatte seine Frau betrogen, die es ohnehin
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