Das Haus Der Schwestern
schwer genug mit ihm hatte. Es gab eine Menge Dinge, die sie an dem Mann, mit dem sie geschlafen hatte, nicht mochte. Und nun verspürte sie das dringende Bedürfnis nach einer langen, heißen Dusche.
Sie verließ das Bett, raffte ihre verstreut im Zimmer herumliegenden Kleidungsstücke zusammen. Als sie auf den Gang hinaustrat, roch sie den Duft nach gebratenem Speck und Kaffee, der von unten heraufzog. Sie erinnerte sich, daß sie sich während der Lektüre von Frances Grays Lebensbericht genau diese Atmosphäre einmal vorgestellt hatte: ein kalter Wintermorgen, der Geruch von Kaffee und gebratenem Speck, eine fröhliche Familie, die sich zum Frühstück versammelte.
Sie hätte es begrüßt, wenn eine Familie dort unten auf sie gewartet hätte; Geschwister, mit denen man streiten, eine Mutter, der man die bösen Träume der Nacht erzählen konnte. Statt dessen wartete da ein Mann, von dem sie zunehmend wünschte, sie wäre ihm nie begegnet.
Sie duschte ausgiebig, ging dann in ihr eigenes Zimmer hinüber, nahm sich frische Sachen zum Anziehen. Sie schminkte sich sorgfältig, wobei sie nicht von dem Wunsch geleitet wurde, Fernand besonders gut zu gefallen, sondern von dem Bedürfnis, eine gewisse maskenhafte Unnahbarkeit zu erlangen. Der Anblick ihres schönen, etwas künstlich wirkenden Gesichts im Spiegel half ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden. Sie hatte ein paar verräterische rote Flecken am Hals und an ihren Brüsten entdeckt und war froh, daß der dunkelblaue Rollkragenpullover, für den sie sich entschieden hatte, alle Spuren verbarg. Sie war wieder die disziplinierte, erfolgreiche Rechtsanwältin. Sie mußte nun zusehen, daß Fernand das Haus verlassen hatte, ehe Ralph zurückkehrte.
Die Küche war leer, als Barbara hinunterkam. Auf dem Tisch — der mit Tellern und Tassen gedeckt, mit einer Kerze und einem Strauß Tannenzweigen geschmückt war — standen auf drei Wärmeplatten abgedeckte Schüsseln. Barbara spähte hinein. Rühreier und Speck, heiße Würstchen, gegrillte Champignons mit Tomaten. Der Toaster war eingesteckt, ein paar Scheiben Weißbrot lagen daneben. Eine Thermoskanne hielt den Kaffee heiß.
»Er ist perfekt«, murmelte Barbara beeindruckt. Sie sah sich suchend um, in der Hoffnung, einen Zettel zu entdecken, der ihr mitteilen würde, daß Fernand bereits gegangen war, aber nichts dergleichen lag herum. Außerdem war sein Gedeck so unberührt wie ihres. Er hatte eindeutig vor, mit ihr gemeinsam zu frühstücken, und sie würde ihm das kaum verwehren können.
Sie fand ihn im Eßzimmer. Halb saß, halb lehnte er auf der Fensterbank, die langen Beine weit von sich gestreckt. Im fahlen Licht dieses Morgens sah er nicht mehr so unwiderstehlich aus wie am Abend zuvor im Kerzenschein. Unter den Augen wirkte er etwas aufgeschwemmt; ein Indiz für seinen übermäßigen Alkoholgenuß. Sein Gesichtsausdruck verriet Anspannung.
»Guten Morgen, Barbara«, sagte er.
Sie war in der Tür stehengeblieben, kam nun unsicher einen Schritt näher.
»Guten Morgen, Fernand. Tut mir leid, daß ich so lange geschlafen habe.«
»Warum sollte dir das leid tun?«
»Weil du das Frühstück ganz allein gemacht hast.«
»Ach«, sagte er wegwerfend, »das war nun wirklich keine Arbeit!«
Wie fremd man sich sein kann nach so einer Nacht, dachte Barbara.
Sie öffnete den Mund, um ihn aufzufordern, mit ihr in die Küche zu kommen, da fiel ihr Blick zum erstenmal an diesem Morgen auf seine Hände. Er hatte ein paar Blätter Papier zu einer Rolle gedreht und bewegte sie langsam auf und ab. Ruckartig sah sie zu dem Manuskriptstapel, der noch immer vor dem Kamin lag. Gestern abend hatte sie ihn wegbringen wollen, aber dann war Fernand überraschend erschienen, und sie hatte es völlig vergessen.
Sie starrte ihn an. In ihren Augen blitzte Wut. »Du schnüffelst in meinen Sachen?«
Er erhob sich von der Fensterbank, trat an den Tisch und legte die Papiere, die er in der Hand gehalten hatte, darauf ab. Er lächelte. »Du hast in Lauras Sachen geschnüffelt, so wie ich die Dinge sehe! «
Sie versuchte an seiner Miene zu erkennen, was er gelesen hatte. Keinesfalls alles natürlich. Er wirkte nicht im mindesten schockiert oder erschüttert. Er konnte nichts wissen über den Mord an Victoria — der ersten Frau seines Vaters.
»Was ich tue«, sagte sie kühl, »geht dich nichts an.«
Er betrachtete sie nachdenklich. »Wo hast du es gefunden? Die gute Laura hat sechzehn Jahre lang vergeblich danach gesucht.
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