Das Haus Der Schwestern
Allerdings ist Laura auch wirklich nicht besonders clever. Nicht annähernd so klug wie du.«
Er wußte viel. Das irritierte Barbara. Er hatte offenbar von der Existenz dieser Aufzeichnungen schon seit Jahren gewußt. Er hatte gewußt, daß Laura — wie Barbara sich das auch schon selbst zurechtkombiniert hatte — verzweifelt danach geforscht hatte. Wußte er auch, warum ?
»Ich habe es durch Zufall entdeckt«, erklärte sie kurz. »Im Schuppen unter einem der Dielenbretter. Es ist durchgebrochen, als ich darauf trat. Das war der Unfall.« Sie berührte ihr verfärbtes Kinn.
Fernand nickte. »Verstehe. Aber du dürftest recht bald bemerkt haben, daß es wohl kaum für dich bestimmt ist.«
Sie fragte sich, was er sich eigentlich einbildete. Stand da wie ein Vernehmungsbeamter und stellte Fragen nach Dingen, die ihn nichts angingen.
»Dir gegenüber muß ich mich nicht rechtfertigen«, sagte sie.
»Bis wohin hast du es gelesen?«
»Von Anfang bis Ende.«
»Ich habe nur den Schluß gelesen. Ich wollte wissen, ob sie’s wirklich getan hat.«
»Ob wer was getan hat?«
»Frances. Ich wollte eigentlich herausfinden, ob sie beides getan hat: ihre Schwester erschossen und das dann auch noch schriftlich festgehalten. Davor hatte Laura ja solch eine Heidenangst.«
»Du wußtest davon?«
»Weshalb erstaunt dich das so?«
»Ich hätte nicht gedacht, daß Laura es irgend jemandem erzählt hat. Ganz offensichtlich weiß nicht einmal ihre Schwester Marjorie Bescheid. Mir war nicht klar, daß du ihr Vertrauter bist.«
Fernand lachte. »Ihr Vertrauter! Das ist gut. Ihr Vertrauter bin ich bestimmt nicht.«
Barbara runzelte die Stirn. »Aber sie hat dir alles erzählt.«
Die Hände in den Hosentaschen, trat er ans Fenster, sah hinaus. Sein Pullover spannte ein wenig über seinen breiten Schultern.
»Sie hat mir gar nichts erzählt«, sagte er, »sie wäre nie auf die Idee gekommen. Sie könnte ja fast meine Mutter sein! In mir hat sie im Grunde immer nur einen kleinen Jungen aus der Nachbarschaft gesehen.«
»Dann hat Frances es erzählt?«
»O nein! Frances war kein Plappermaul. Was sie zu sagen hatte, hat sie aufgeschrieben. Ihr Fehler war, daß sie es nicht vernichtet hat — obwohl das für Laura nicht viel geändert hätte.«
»Könntest du aufhören, in Rätseln zu sprechen?«
Er drehte sich zu ihr um. Seine Augen musterten sie kühl. Jede Zärtlichkeit war aus ihnen verschwunden.
»Was hast du vor?« fragte er. »Was wirst du mit den Informationen anfangen, die du gewonnen hast?«
Sie zuckte die Schultern. »Was soll ich schon damit anfangen? Die Geschichte ist längst verjährt. Die Täterin ist nicht mehr am Leben.«
»Ihre Helfershelferin lebt noch.«
»Laura? Ich bin gar nicht sicher, ob sie wegen Beihilfe zu belangen gewesen wäre. Ich kenne mich allerdings im englischen Strafrecht nicht aus.«
» Dafür um so mehr im deutschen. Seit du mir letzte Nacht erzählt hast, daß du eine erfolgreiche Anwältin bist, habe ich noch mehr Achtung vor dir. Du bist sehr intelligent, Barbara. Ich finde intelligente Frauen hocherotisch.«
Erotik war ein Thema, das Barbara im Moment unbedingt vermeiden wollte.
»Kommen wir zur Sache«, sagte sie ungeduldig. »Ich finde, daß...«
»Ob Laura nun Beihilfe geleistet hat oder nicht, ist nicht so entscheidend«, unterbrach Fernand. »Tatsache ist, sie glaubt seit jenem Tag, daß sie ebenso schuldig ist wie Frances.«
»Wer hat ihr denn das eingeredet?«
»Ich nehme an, sie sich selbst. Und ich könnte mir denken, Frances Gray hat zumindest nicht allzuviel unternommen, sie eines anderen zu belehren. Immerhin mußte Laura unbedingt den Mund halten. Angst ist da kein schlechtes Mittel zum Zweck.«
»Aber letztlich«, sagte Barbara, »hat sie doch nicht den Mund gehalten, oder?«
»Sie wurde mit der Geschichte nicht fertig. Typisch Laura, sie wird nie mit irgend etwas fertig. Diese Frau ist so furchtbar schwach. Ich kenne sie ja, solange ich lebe. Sie war sechzehn oder siebzehn, als ich geboren wurde, also noch jung. Aber komischerweise erinnere ich mich an sie nie als an einen jungen Menschen. Sie sah immer so sorgenvoll aus, lachte kaum, lief stets herum, als trage sie die Last der Welt auf ihren Schultern. Meine Mutter erzählte mir, sie habe ein Bombentrauma aus dem Krieg. Na ja. Arme, alte Seele.«
»Wem hat sie sich anvertraut? «
»Kommt dir da keine Idee?«
Barbara schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Meiner Mutter«, sagte er, »sie hat alles meiner
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