Das Haus Der Schwestern
besonders gut«, sagte sie, » aber das hat nichts mit John zu tun. Er ist mir ziemlich egal, ehrlich gesagt. Aber ich glaube nicht, daß ich etwas essen kann.«
»Setz dich zu uns und versuche es. Der Abend wird schwierig genug, auch ohne daß du noch ausfällst. Himmel, konnte sich George nicht irgendein anderes Mädchen aussuchen?«
Nach und nach trafen alle Familienmitglieder ein. Am Kopfende des Tisches saß Charles Gray, wie immer zum Abendessen im dunklen Anzug, hellgrauer Weste und Seidenkrawatte. Den Status, der ihm von Geburt her zugestanden hätte, hatte er verloren, aber um so mehr bemühte er sich, an gewissen Konventionen festzuhalten. Dazu gehörten elegante Kleidung, Kerzenlicht am Abend, das vollständige Erscheinen der — soweit anwesenden — Familie. Es grämte ihn sehr, daß er Maureen für alle im Haus anfallenden Arbeiten nur eine einzige Hilfe, die energische Haushälterin Adeline, zur Verfügung stellen konnte. Weitere Angestellte hätte er nicht bezahlen können, wenn er gleichzeitig seine Kinder auf gute Schulen schicken wollte.
Am anderen Ende des Tisches saß Maureens Mutter, Kate Lancey. Kate trug ein bodenlanges, schwarzes Kleid, ein schwarzes Häubchen auf den weißen Haaren und als einzigen Schmuck eine dünne Goldkette mit einem Kreuz um den Hals. Sie war eine kleine, spindeldürre Person, die wirkte, als würde sie beim leisesten Windhauch umfallen. In Wahrheit war sie zäher und gesünder als der Rest der Familie zusammen. Gestählt durch lange, harte Jahre in den Slums von Dublin, die sie an der Seite eines sich langsam zu Tode saufenden Ehemannes verbracht hatte, und durch den täglichen schweren Kampf darum, sich und ihr Kind vor dem Verhungern zu bewahren. Großmutter Kate hatte genug mitgemacht, um sich durch nahezu nichts mehr auf der Welt erschüttern zu lassen.
George und Alice kehrten von einem Spaziergang zurück, George mit bedrückter Miene, Alice in bester Laune. Sie hatte Blumen gepflückt, die sie Maureen überreichte. Victoria erschien, mit ihren roten Wangen, den blonden Haaren und den leuchtenden Augen schön wie ein Gemälde. Ihr Anblick entlockte dem in eisigem Schweigen verharrenden Charles ein kurzes Lächeln. Sie war sein erklärter Liebling. Sie sah aus wie Maureen, und sie hatte ihm noch nie Sorgen bereitet.
Die Stimmung blieb angespannt und verkrampft. Charles starrte vor sich hin und sagte kein Wort. Frances stocherte in ihrem Essen, konnte noch immer keinen Bissen herunterbringen und sprach ebenfalls nicht. George sah aus, als wolle er am liebsten das Zimmer verlassen. Selbst Victoria war verstummt; sie hatte bemerkt, daß etwas nicht stimmte, kannte jedoch nicht den Grund und wollte sich nicht mit einer ungeschickten Bemerkung in Ungnade bringen.
»Das Essen schmeckt ganz ausgezeichnet«, sagte Alice schließlich, »muß man die Haushälterin dafür loben oder Sie, Mrs. Gray?«
»Leider kann ich diesen Ruhm nicht beanspruchen«, entgegnete Maureen bemüht heiter. »Er gebührt Kate. Sie hat heute gekocht.«
»Ich bewundere Sie, Mrs. Lancey«, sagte Alice. »Ich selbst kann überhaupt nicht kochen, mir fehlt jedes Geschick dafür.«
»Man kann es lernen«, sagte Kate, »es ist nur eine Frage der Übung.« Charles hob den Kopf. »Ich nehme an, Miss Chapman ist nicht im geringsten daran interessiert, kochen zu lernen, Kate. Das dürfte mit ihren Prinzipien kollidieren. Nach ihrer Ansicht gehören Frauen schließlich nicht in die Küche, sondern in die Wahllokale!«
»Charles!« sagte Maureen warnend.
"Vater!« zischte George. Victoria machte große Augen.
Alice schenkte Charles ein liebenswürdiges Lächeln. »Ich denke nicht, daß Küche und Wahllokale einander ausschließen«, meinte sie, »oder können Sie mir dafür einen überzeugenden Grund nennen, Mr. Gray?«
»Möchte noch jemand etwas Gemüse?« fragte Maureen hastig.
Niemand antwortete. Alle starrten Charles an.
»Eine Frau, Miss Chapman«, sagte er langsam, »denkt von ihrem ganzen Wesen, ihrer Veranlagung her, nicht politisch. Sie ist daher auch nicht in der Lage, Aufbau, Ziele und Vorstellungen einer Partei zu erfassen. Sie würde ihre Stimme aufgrund diffuser Emotionen und völlig irrationaler Ideen abgeben. Ich halte es für außerordentlich gefährlich, die politische Zukunft eines Landes etwa zur Hälfte in die Hände von Menschen zu geben, die nicht die mindeste Ahnung haben, worum es überhaupt geht!«
Frances sah, daß George fast der Atem stockte. Charles’ Worte
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