Das Haus Der Schwestern
Sie auch?« fragte sie.
Frances hatte natürlich nie geraucht und zudem gelernt, daß eine Dame das ohnehin nicht tat. Aber da sie nicht wie ein kleines Mädchen dastehen wollte, murmelte sie gelassen: »Ja, gern.«
Sie verschluckte sich gleich beim ersten Zug und mußte minutenlang gegen eine heftige Hustenattacke ankämpfen. Alice wartete geduldig, bis sie fertig war, dann steilte sie fest: »Das ist Ihre erste Zigarre, nicht?«
Da es keinen Sinn hatte, dies abzustreiten, nickte Frances und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ja. Ich hab’ das noch nie gemacht.«
Sie erwartete eine spöttische Bemerkung, aber Alice sah sie nur ruhig an. »Wie alt sind Sie?« « fragte sie.
»Siebzehn«, antwortete Frances und nahm vorsichtig einen zweiten Zug. Es schmeckte scheußlich, aber diesmal mußte sie wenigstens nicht husten.
»Siebzehn, aha. Ich bin zwanzig, also auch nicht viel älter, aber ich habe schon eine Menge erlebt. Ich könnte mir vorstellen, dazu hätten Sie auch Lust. Sie kommen mir vor wie ein ziemlich behütetes Mädchen, das ganz gerne das Leben kennenlernen würde. Oder möchten Sie einfach tun, was von Ihnen erwartet wird? Heiraten, Kinder bekommen, ein geselliges Haus führen und Damentees veranstalten?«
»Ich... weiß nicht...«, sagte Frances. Sie hatte etwas zu hastig weitergeraucht, und nun hatte sie auf einmal die größten Schwierigkeiten, sich auf Alices Worte zu konzentrieren. Ihr wurde sterbensübel, ihr Magen revoltierte, und vor ihren Augen flimmerte es.
O nein, dachte sie entsetzt. Ich werde mich übergeben. Vor den Augen einer Fremden!
»Sie sollten mich einmal in London besuchen«, fuhr Alice fort, »ich könnte Sie mit einigen sehr interessanten Menschen bekannt machen.«
Frances rutschte von der Mauer. Ihre zitternden Beine schienen sie kaum tragen zu wollen. Von weither vernahm sie Alices Stimme: »Frances? Was ist denn mit Ihnen? Sie sind ja leichenblaß!«
Kräftige Arme packten sie um die Mitte, hielten sie fest. Ihr war so schlecht wie noch nie in ihrem Leben. Sie begann zu würgen.
»Guter Gott, das ist meine Schuld«, hörte sie Alice sagen, »ich hätte Ihnen keine Zigarre geben dürfen!«
Frances beugte sich über ein dichtes Gebüsch von Farnen und erbrach ihr Frühstück.
John Leigh erschien nicht. Nicht um fünf Uhr, wie er in seinem Brief angekündigt hatte, nicht um sechs Uhr, und auch um halb sieben ließ er sich nicht blicken.
»Es wird wirklich Zeit, daß wir uns ein Telefon anschaffen«, sagte Frances wütend zu ihrer Mutter. »Dann könnte ich in so einem Fall John wenigstens anrufen. Ich hoffe, er hat eine gute Erklärung für sein Verhalten.«
»Sicher hat er die«, meinte Maureen. Sie sah angespannt aus. Eine Stunde zuvor hatte George ihr und seinem Vater erklärt, daß er beabsichtige, Miss Chapman zu heiraten. Charles Gray hatte mehr über die junge Frau wissen wollen, und dabei war herausgekommen, daß sie Mitglied der WSPU war. Charles war so wütend geworden, daß selbst Maureen Mühe gehabt hatte, ihn zu beruhigen.
»Aber warum hast du das erzählt?« fragte Frances später, als George ihr von der Unterredung berichtete und dabei sehr deprimiert wirkte.
Er hob resigniert die Schultern. »Sonst hätte sie es gesagt. Irgendwann heute oder morgen hätte Vater sie ja mal gefragt, was sie so macht.«
»Und da hätte sie wahrheitsgemäß geantwortet?«
George lachte, aber es klang nicht fröhlich. »Darauf kannst du Gift nehmen! Vornehme Zurückhaltung ist leider gar nicht Alices Sache. Sie hätte ihm lang und breit ihre Ziele auseinandergesetzt und sich bemüht, ihn von der Notwendigkeit zu überzeugen, dafür zu kämpfen. Du kannst dir denken, wie die beiden aneinandergeraten wären!«
So hatte nur er die Wut seines Vaters abbekommen. Charles hatte schließlich sogar kategorisch erklärt, er werde »diese Person« nicht in seinem Haus dulden. Es war nur Maureens Überredungskünsten zu verdanken, daß er schließlich einwilligte, Alice Chapman bis zur Abreise des Paares in Westhill zu beherbergen.
Maureen, die gerade den Tisch für das Abendessen im Eßzimmer deckte, tauchte für einen Moment aus ihren trüben Gedanken um die Zukunft ihres Sohnes und die unerwarteten Probleme auf. Sie musterte Frances eindringlich.
»Bist du traurig, weil John nicht gekommen ist?« fragte sie. »Oder warum bist du so blaß? Du siehst richtig schlecht aus!«
Frances hatte sich von den Auswirkungen der Zigarre noch nicht erholt. »Mir ist nicht
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