Das Haus Der Schwestern
mußten eine unerträgliche Provokation für Alice darstellen. Sie hatte sich jedoch gut im Griff.
»Wie viele politische Diskussionen haben Sie schon mit Frauen geführt, Mr. Gray?« fragte sie. »Es müssen viele gewesen sein, da Sie den Frauen mit solcher Sicherheit das Fehlen jeglichen politischen Bewußtseins absprechen!«
»Eine politische Diskussion habe ich noch mit keiner einzigen Frau geführt!« erwiderte Charles heftig. »Und deshalb weiß ich ja, daß...«
»Lag das an den Frauen oder an Ihnen? Ich meine, haben Sie nie eine Frau getroffen, die bereit oder interessiert gewesen wäre, mit Ihnen über Politik zu sprechen, oder waren Sie nie bereit?«
In Charles’ Augen begann es gefährlich zu glimmen. Wer ihn kannte, wußte, daß er sich bemühen mußte, höflich zu bleiben.
»Ich glaube nicht«, sagte er betont ruhig, »daß uns diese Haarspaltereien weiterbringen.«
»Und ich glaube, daß genau hier der springende Punkt liegt«, sagte Alice.
»Frauen diskutieren mit Männern nicht über Politik, weil Männer ihnen keinen Moment lang zuhören würden. Frauen schweigen in diesen Fragen, weil es für sie keinen Sinn hat, eine Meinung zu äußern. Daraus auf ein Unvermögen der Frauen zu schließen, sich mit Politik zu befassen und womöglich sogar durchaus vernünftige Gedanken zu allgemeinen Problemen zu äußern, halte ich, gelinde gesagt, für infam.« Ihre Miene war unverändert freundlich geblieben, aber ihre Stimme hatte einen scharfen Ton angenommen.
Charles legte sein Besteck nieder. »Ich glaube, niemand hat etwas dagegen, wenn Sie dieses Haus verlassen, Miss Chapman«, sagte er.
»Fürchten Sie uns Frauenrechtlerinnen so sehr, daß Sie nicht einmal ein Gespräch über unsere Forderungen ertragen?« fragte Alice spöttisch und stand auf.
George warf seine Serviette auf den Teller. »Wenn sie geht, gehe ich auch, Vater«, sagte er drohend.
Charles nickte. »Sicher. Jemand muß sie schließlich zum Bahnhof nach Wensley bringen.«
George sprang auf. Er war kalkweiß geworden. »Wenn ich jetzt gehe, komme ich nicht zurück«, sagte er.
»George!« rief Frances entsetzt.
Charles sagte nichts. Er sah seinen Sohn unentwegt an. George wartete einen Moment. Dann sagte er mit vor Empörung und Erregung zitternder Stimme: »Von dir hätte ich das nicht erwartet, Vater. Ausgerechnet von dir! Du müßtest wissen, was ich fühle. Nachdem dein eigener Vater mit dir gebrochen hat, weil du und Mutter ...«
Nun sprang Charles auf. Einen Moment schien es, als wolle er George ins Gesicht schlagen. »Hinaus!« schrie er. »Hinaus! Und wage es nie wieder, deine Mutter zu vergleichen mit dieser ... dieser unerträglichen Suffragette, die weder Mann noch Frau, sondern nur ein armes Geschöpf irgendwo dazwischen ist! «
George ergriff Alices’ Hand. »Komm! Laß uns verschwinden, bevor ich nicht mehr weiß, was ich tue!« Er zog sie zur Tür. Dort stießen sie beinahe mit John Leigh zusammen, der gerade hereinkam und überrascht auf die Szenerie blickte, die sich ihm bot. Er trug Reitstiefel und war etwas außer Atem.
»Guten Abend«, sagte er, »entschuldigen Sie, daß ich...«
»Wir wollten gerade gehen«, sagte George und schob Alice aus dem Zimmer.
Charles stand noch immer vor seinem Platz, seine Hände zitterten. »Guten Abend, Mr. Leigh«, sagte er, bemüht, seine Fassung wiederzufinden.
»John Leigh!« rief Frances anzüglich. »Mit dir hätte ich wirklich nicht mehr gerechnet!«
Er warf ihr nur einen kurzen Blick zu. Sie bemerkte, daß sein Gesicht aschfahl war und er sehr erregt schien. »Was ist denn passiert?« fragte sie.
»Wollen Sie sich zu uns setzen?« fragte Maureen. »Ich werde ein neues Gedeck für Sie...«
Er wehrte ab. »Nein danke. Ich muß gleich wieder weiter. Ich wollte Ihnen nur ... Sie wissen es noch nicht, oder?«
»Was?« fragte Charles.
»Verwandte aus London haben angerufen«, sagte John. »Seine Majestät der König ist heute nachmittag gestorben.«
Alle sahen einander an, geschockt und entsetzt.
»O nein«, sagte Maureen leise.
»Das ist eine schlimme Nachricht«, murmelte Charles, »eine sehr schlimme Nachricht.« Er schien plötzlich in sich zusammenzufallen, sah auf einmal älter und grauer aus.
»Ich muß wieder nach Hause«, sagte John, »mein Vater ist sehr krank und regt sich entsetzlich auf. Frances ... es tut mir wirklich leid wegen heute nachmittag!«
»Schon gut. Unter diesen Umständen...«
Maureen erhob sich. »Ich begleite Sie zur Tür, Mr.
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