Das Haus Der Schwestern
wußte. In Wahrheit, das war ihr klar, verstand er keineswegs, weshalb sie überlegen wollte. Ein beträchtlicher Teil der snobistischen Haltung seiner Familie war auch ihm zu eigen, und er erwartete, daß ein Mädchen entzückt reagierte, wenn es einen Heiratsantrag von ihm erhielt. »Was wirst du als nächstes tun?« fragte sie.
»Als nächstes wollte ich dich heiraten. Davon abgesehen ...«
»Ja?«
»Ich kann nicht mehr nach Cambridge zurück, wenn mein Vater... wenn er nicht mehr lebt. Ich kann Mutter ja mit all dem hier nicht allein lassen. Ich muß versuchen, einen guten Verwalter zu finden. Und dann würde ich gern anfangen, meinen alten Traum zu verwirklichen.«
Sie kannte ihn lange genug, um von seinen Träumen zu wissen. »Politik?«
Er nickte. » Jetzt, wo der König gestorben ist, wird es Parlamentsneuwahlen geben. Ich möchte für die Tories hier in unserem Wahlkreis kandidieren.«
»Du wirst es schwer haben«, meinte Frances, und sie dachte dabei nicht nur an seine Jugend. Die Konservativen hatten im Norden Englands, in dem große Armut herrschte und soziale Spannungen verschärft zutage traten, einen harten Stand. Für den Westen von Yorkshire saß sogar seit dem letzten Jahr ein fanatischer Sozialist als Vertreter im Unterhaus.
»Natürlich werde ich es schwer haben«, sagte John. Er blieb erneut stehen. Seine Miene spiegelte eine Mischung aus Müdigkeit und Entschlossenheit. »Ich bin erst dreiundzwanzig Jahre alt. Auf der anderen Seite sind die Leighs die reichste und einflußstärkste Familie in unserem Wahlkreis. Ich kann es schaffen. Irgendwann sitze ich im Unterhaus, du wirst es sehen. Ich meine ... auch das solltest du bedenken. Vielleicht schreckt dich die Vorstellung, dein ganzes Leben auf Daleview zu verbringen, aber so wird es nicht sein. Wir würden viele Monate des Jahres in London leben. Wir können ins Theater gehen und in die Oper und zu großen Gesellschaften. Wir machen Reisen, wenn du möchtest. Paris, Rom, Venedig... wohin du willst. Wir werden Kinder haben, und...«
»John! Du mußt mich nicht davon überzeugen, daß ich an deiner Seite ein gutes Leben haben würde. Das weiß ich von allein.«
»Und warum zögerst du dann?«
Sie wich seinem fragenden, ratlosen Blick aus, schaute in die Ferne. Heute ragten die Hügel nicht in die Wolken; sie hoben sich klar gegen den Himmel ab. Warum zögerte sie? Weder sich noch ihm hätte sie in diesem Moment eine eindeutige Antwort auf diese Frage geben können. In gewisser Weise war sie auch nicht aufrichtig gewesen, als sie gesagt hatte, sie sei überrascht von Johns Frage, daher brauche sie Zeit, um zu überlegen. Sie hatte seinen Antrag nicht in diesem Moment erwartet, aber sie hatte immer gewußt, daß er sie eines Tages bitten würde, ihn zu heiraten. Irgendwie war es klar gewesen, seit den Tagen ihrer Kindheit, als er ihr das Reiten beigebracht hatte und sie zusammen über die Wiesen galoppiert waren — und sie versucht hatte, seine von Grasflecken und Erde verdreckten Hosen in einem Bach zu waschen, nachdem er gestürzt war und einen Nervenzusammenbruch seiner pingeligen Mutter fürchtete. Sie hatten es gewußt, und alle hatten es gewußt, und vermutlich hatte Mrs. Leigh deshalb versucht, sie beide auseinanderzubringen, ohne daß es ihr geglückt wäre.
In den langen Jahren, die Frances in der verhaßten Schule in Richmond hatte verbringen müssen, war es John gewesen, der ihr Heimweh gelindert und sie davon abgehalten hatte, sich unmöglich zu benehmen, um einen Hinauswurf zu provozieren. So wie er an jenem Junitag ans Ufer des River Swale gekommen war, um sie zu trösten, so war er immer bereit gestanden, ihr zu helfen. Er hatte ihr Berge von Briefen geschrieben, zärtliche, heitere, ironische, witzige Briefe, die sie zum Lachen gebracht hatten. Neben den Mitgliedern ihrer Familie war er der vertrauteste Mensch der Welt für sie.
Was stand nun also plötzlich zwischen ihnen? Sie begriff es nicht, fühlte aber, daß es etwas zu tun haben mußte mit der dauernden, latenten Unzufriedenheit, in der sie seit der Rückkehr von der Schule lebte. Diese Unruhe, dieses Warten auf etwas, wovon sie nicht einmal wußte, was es war.
Unvermittelt fiel ihr ein, was Alice Chapman an jenem Tag gesagt hatte, als sie zusammen im Garten gesessen und geraucht hatten. »Wollen Sie einfach tun, was von Ihnen erwartet wird? Heiraten, Kinder bekommen, ein geselliges Haus führen und Damentees veranstalten? «
»Das kann ich jetzt nicht«, sagte
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