Das Haus Der Schwestern
Frances laut.
John starrte sie an. »Was?«
Das dunkle Haus, in dem sie zusammen leben würden, in dem man immer fror, in dem man nie laut sprechen durfte, weil Mrs. Leigh sonst Kopfschmerzen bekam ...
»Ich brauche Zeit«, erklärte sie. »Ich kann nicht ohne jeden Übergang aus dem Haus meiner Eltern in dein Haus ziehen. Wann soll ich denn jemals auf eigenen Füßen stehen? Wie soll ich herausfinden, ob ich mich auch alleine behaupten kann?«
»Wieso mußt du das denn herausfinden? Wozu?«
»Du verstehst mich überhaupt nicht, oder?«
Er nahm ihre Hand. Die letzten Wochen, dieser Tag hatten zuviel Schreckliches gebracht, als daß er im Augenblick die Kraft gehabt hätte, mit ihr zu kämpfen.
»Nein«, sagte er müde, »ich verstehe dich nicht. Ich will in Vaters Nähe sein.«
Langsam gingen sie den Weg zurück. Die dunklen Mauern von Daleview tauchten wieder auf. Unvermittelt fragte Frances: »Wie denkst du über das Frauenwahlrecht?«
»Wie kommst du denn jetzt darauf?« fragte John überrascht.
»Es ging mir gerade durch den Kopf.«
»Du beschäftigst dich ja mit eigenartigen Dingen!«
»Wie denkst du nun darüber?«
Er seufzte. Das Thema schien ihn nicht im mindesten zu interessieren, nicht in diesem Moment. Sein Vater lag im Sterben. Die Frau, die er liebte, hatte ihn zurückgewiesen. Er fühlte sich einsam und elend. »Ich glaube einfach, die Zeit ist nicht reif dafür«, sagte er.
»Wenn es nach den Männern geht, wird sie das nie sein.«
»Ich bin kein Gegner des Frauenstimmrechts. Allerdings lehne ich die Mittel ab, mit denen militante Frauenrechtlerinnen ihre Ziele durchzusetzen versuchen. Mit ihren Gewaltaktionen machen sie sich unglaubwürdig und verlieren alle Sympathien.«
»Manchmal denke ich, es gibt Dinge, die lassen sich nur mit Gewalt durchsetzen«, sagte Frances. »Solange Frauen ihre Forderungen höflich und freundlich vorbringen, hört man ihnen nicht zu. Erst wenn sie schreien und Fensterscheiben einschlagen, nimmt man sie überhaupt zur Kenntnis.«
Sie waren beinahe am Haus angelangt. John hatte die ganze Zeit über Frances’ Hand gehalten. Nun ließ er sie los. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küßte sie auf die Stirn. Dann trat er einen Schritt zurück.
»Das sind gefährliche Gedanken, die du da hegst«, sagte er, »du solltest dich nicht in etwas hineinsteigern, Frances.«
Sie antwortete nicht. Er betrachtete sie voller Beunruhigung. Jahre später erzählte er ihr, er habe in diesem Moment eine so starke Ahnung von drohendem Unheil gehabt, daß ihm eiskalt geworden wäre trotz des heißen Wetters. Ihm sei gewesen, als zerbreche etwas Kostbares, das ihnen beiden gehört hatte. Er wußte noch nichts von dem Krieg, der vier Jahre später ausbrechen, nichts von den Abgründen, in die er sie beide reißen würde - aber er ahnte, daß die Zeiten schlechter werden würden. Er sagte, er habe an jenem Nachmittag das Gefühl gehabt, daß sie mit ihrer Weigerung, ihn zu heiraten, das Paradies verspielte, das sie gemeinsam hätten haben können. Und er gab zu, es sei ihm nie wirklich gelungen, ihr zu verzeihen.
»Aber warum willst du nach London? « fragte Maureen bereits zum dritten Mal.
Sie wirkte verstört und erschrocken. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, denn die Familie war gerade von den Beisetzungsfeierlichkeiten für Arthur Leigh nach Westhill zurückgekehrt. Im Eßzimmer hatte Frances ihren Eltern mitgeteilt, sie habe beschlossen, für einige Zeit nach London zu gehen.
»Was willst du denn da machen?« fragte Charles. »Du kannst doch nicht einfach irgendwohin gehen und keine Ahnung haben, was du dort eigentlich vorhast!«
»Ich dachte, ich könnte bei Tante Margaret wohnen. Und einfach London kennenlernen.«
»Ich finde, das ist zu gefährlich für ein junges Mädchen«, sagte Maureen, »London ist eine andere Welt als Leigh’s Dale. Und auch als Richmond. Du bist so etwas nicht gewöhnt.«
»Deshalb will ich ja dorthin. Soll ich langsam versauern auf dem Land?«
»Du könntest viel Zeit in London verbringen, wenn du John Leigh heiraten würdest«, sagte Maureen unvorsichtig, »aber dann wärst du wenigstens ...«
Frances sah ihre Mutter scharf an. »Woher weißt du denn das?«
»Eines der Dienstmädchen auf Daleview machte eine Andeutung. Offenbar hat es eine Auseinandersetzung zwischen John und seiner Mutter gegeben, in deren Verlauf er ihr sagte, er habe dich gefragt, und du habest abgelehnt.«
»Ist da irgend etwas völlig an mir
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