Das Haus Der Schwestern
sehr tapfer durchgestanden, Frances. Aber nun mußt du gesund werden. Es kränkt dich hoffentlich nicht, wenn ich dir sage, daß du wirklich furchtbar aussiehst? Du fällst ja um, wenn dich nur ein Windhauch streift!«
Weder George noch Alice, noch Margaret konnten sie aufmuntern oder auch nur erreichen mit ihren Worten. Sie hatte eher das Gefühl, sich nach jedem Gespräch noch ausgelaugter zu fühlen - und schuldbewußt dazu, weil sie nicht dankbar sein konnte für die Mühe und Fürsorge der anderen. Der einzige Mensch, mit dem sie sich besser fühlte in dieser Zeit, war Phillip.
»Erzähle mir etwas«, bat sie ihn manchmal, »oder lies mir etwas vor. Du hast eine sehr schöne Stimme.«
Phillip war schließlich von morgens bis abends um sie, und es wurde deutlich, daß seine Depressionen im selben Maß nachließen, wie die von Frances zunahmen. Später machte sie sich klar, was in ihm vorgegangen sein mußte: Er war noch nie in einer solchen Situation gewesen. Ein Mensch brauchte ihn, verlangte nach seiner Nähe. Dazu handelte es sich um die Frau, in die er sich verliebt hatte. Er hatte es schon oft erlebt, daß Frauen sein attraktives Äußeres auffiel, aber sowie sie ihn näher kennenlernten, kam es unweigerlich zu dem Moment, da sie begriffen, daß sie es mit einem kranken Mann zu tun hatten, und stets waren sie dann auf Distanz gegangen.
Frances schien ihn zu mögen, wie er war. Er machte sich nicht klar, daß sie sich in einer Ausnahmesituation befand, in der sie gierig nach jedem gegriffen hätte, der ihr Zuwendung und Anteilnahme schenkte. Phillip, mit seiner tief verwundeten Seele und den bösen Erinnerungen an eine zerstörte Kindheit und Jugend, verstand sich besser darauf, Trost zu spenden als jeder andere. Das machte seine Bedeutung für Frances aus. Seine Euphorie darüber, plötzlich stark zu sein, gründete auf einem Irrtum. Er war nicht stärker geworden, er hatte nur einen Menschen gefunden, der schwächer war als er, und damit hatte sich das Kräfteverhältnis verschoben. Er dachte nicht darüber nach, daß es eine Frage der Zeit war, bis sich Frances wieder erholen würde.
Wie er ihr später in einem Brief schrieb, schmiedete er zu dieser Zeit bereits Pläne für eine gemeinsame Zukunft; er sah sie als seine Frau und Mutter seiner Kinder. Ängste und Sorgen würden sie miteinander teilen und dadurch kleiner werden lassen. Er würde immer für sie da sein, und sie für ihn. Irgendwo weit hinter ihnen lag ein breiter Streifen Dunkelheit, in ihm begraben waren die Schrecken der Vergangenheit. Vor ihnen wartete das Licht.
Zu ihrem achtzehnten Geburtstag am vierten März schenkte er ihr ein goldenes Medaillon mit seinem Bild darin, und auf die beiliegende Karte schrieb er, der er Marlowe liebte, ein Zitat aus The World’s Desire: »... and in the next moment, he held the world’s desire in his arms, and the bitterness of the long years fell away from them and was forgotten.«
Zum ersten Mal beschlich Frances das Gefühl, daß etwas auf sie zukam, was sie besser beenden sollte, ehe es zu spät war. Aber ausgerechnet an diesem Tag schien es, als habe sie noch weniger Kraft als sonst. Sie feierte ihren achtzehnten Geburtstag und fühlte sich abgekämpft wie eine alte Frau. Von Großmutter Kate war ein Brief eingetroffen, nicht aber von Charles und Maureen.
Der vierte März fiel auf einen Samstag. Margaret lud Alice und George zu einer Teeparty ein, und George, der Wochenendurlaub hatte, konnte es tatsächlich möglich machen, zu kommen. Die Köchin hatte Torte, Kuchen und Kekse gebacken, genug, um eine Armee satt werden zu lassen. Es gab Tee und Kaffee und heiße Schokolade mit Schlagsahne.
Es blieb beinahe alles übrig. Frances hatte sowieso keinen Appetit, und Phillip war nie ein guter Esser gewesen. Alice und George hatten ganz offensichtlich miteinander gestritten, sie wechselten kaum ein Wort und nippten nur an ihren Tassen, pickten von ihren Tellern. Frances vermutete, daß es um das ewige Thema »Heiraten« gegangen war. Sie verstand nicht, warum Alice sich so beharrlich weigerte, und es tat ihr leid für ihren Bruder, der sichtlich litt.
So machte sich nur Margaret mit einem gesunden Hunger über all die Herrlichkeiten her, aber irgendwann fiel ihr auf, daß außer ihr niemand das Essen wirklich zu genießen schien. Sie legte ihren Löffel beiseite. »Euch schmeckt es wohl gar nicht?« meinte sie betrübt.
»Doch, Tante Margaret, natürlich«, versicherte George höflich. Ihm war
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