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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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verzichten, wovon er geglaubt hatte, es werde mich tief treffen, wenn er es mir wegnahm. Ich wollte ihn bei Gott niemals wiedersehen. Ich hatte keinen Vater mehr.«
    Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Ihre Haut fühlte sich feucht und kalt an.
    »Du bist zu ihm gegangen«, flüsterte sie.
    »Gegangen? Ich hatte das Gefühl, auf allen vieren zu kriechen. Ich mußte an seine Tür klopfen und ihn um Hilfe bitten. Er konnte triumphieren. Und er hat mich seinen Triumph spüren lassen. Er hat es genossen.«
    Was sollte sie noch sagen? Es gab nichts, was jetzt nicht dumm und hohl geklungen hätte.
    »Er war der einzige, der helfen konnte«, fuhr Charles fort, »der Earl Langfield mit Sitz im Oberhaus. Er hat Einfluß und Macht. Deine Mutter und Großmutter plädierten nachdrücklich dafür, daß ich zu ihm gehen sollte. Für ihn war es ein leichtes, klarzustellen, daß seine Enkelin unmöglich jenen fatalen Stein geworfen haben konnte und daß sie lediglich in jugendlicher Verwirrung in eine Sache hineingeraten ist, hinter der sie im Grunde überhaupt nicht steht. Er hat seine Sache gut gemacht. Du warst ziemlich schnell reingewaschen von jedem Verdacht.«
    In jugendlicher Verwirrung...
    Eine Sache, hinter der sie nicht steht...
    So habe ich es nicht gewollt, dachte Frances, aber sie war zu krank, zu zerschlagen, um einen — im nachhinein ohnedies sinnlosen — Streit zu beginnen.
    »Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe«, sagte Charles, »daß mir zwei meiner Kinder so etwas antun! Erst George, der sich mit dieser unmöglichen Person einläßt und es sogar noch wagt, sie mit in mein Haus zu bringen. Und nun du! Du schließt dich dieser Bewegung an, lieferst dir nachts Straßenschlachten mit der Polizei, gerätst in den Verdacht, einen Polizisten verletzt zu haben, und ...«
    »Ich habe ihn nicht...«
    »Ich sagte Verdacht, oder? Tu nicht so unschuldig. Auch wenn du den Stein tatsächlich nicht selbst geworfen hast - in den Verdacht geraten bist du, weil du dich mit dem entsprechenden Gesindel abgibst. Und wer auch immer die Täterin war, du bist nicht besser als sie!«
    Es hat keinen Sinn, dachte sie, es hat keinen Sinn, mit ihm zu reden. Er hat sein Urteil gefällt. Er wird es nicht mehr ändern.
    »Daß du mir das antust«, klagte Charles noch einmal. Frances hätte ihm gern erklärt, daß der Kampf um das Frauenwahlrecht keinen Angriff auf seine Person darstellte. Es schien ihr, als ob er und viele Männer es aber genau als solchen empfanden.
    »Daß du das deinem Land antust!« fuhr Charles fort. »Du und deine ... Mitstreiterinnen! Ausgerechnet jetzt! England durchlebt eine schwere Zeit. Sozialer Aufruhr an allen Ecken! Streiks ohne Ende. Sozialistische Umtriebe. Dazu die Sorge um Gefahren, die von außen drohen. Die alarmierende Rüstungspolitik der Deutschen. Alles ist im Umbruch! Jeder von uns hätte die Pflicht ...« Er verstummte.
    »Ach, was rede ich«, sagte er dann, »was versuche ich es ausgerechnet dir zu erklären!«
    Wie müde er aussieht, dachte Frances, und wie alt!
    Voller Schmerz erkannte sie, wie tief der Riß zwischen ihnen ging, wie weit die Wunde auseinanderklaffte. Ihr fiel der Tag ein, an dem John sie im Gefängnis besucht hatte. Sie erinnerte sich, wie sie gedacht hatte: Ich entferne mich von allem, was ich liebe.
    Über den Sitz hinweg streckte sie die Hand aus, berührte ihren Vater sacht am Arm, dankbar, daß er ihn nicht sofort wegzog.
    »Vater ...«, sagte sie bittend.
    Er sah sie an. Er wirkte ernst, keineswegs so, als gebe ihm augenblickliche Erregtheit die Worte ein. »Ich werde dir das nie verzeihen, Frances «, sagte er ruhig. » Selbst wenn ich es wollte, ich kann es nicht. Vielleicht könnte ich dir noch verzeihen, daß du an dieser Demonstration teilgenommen hast, obwohl es für mich unbegreiflich ist, wie du das tun konntest. Aber ich werde nie darüber hinwegkommen, daß ich deswegen zu meinem Vater gehen mußte.«
    »Ich verstehe«, sagte Frances so ruhig wie er. Sie spürte einen Kloß im Hals, kämpfte aber energisch gegen ihn an. Keine Tränen! Nicht jetzt, nicht hier! Später vielleicht, wenn sie allein war.
    Der Wagen hielt vor Margarets Haus am Berkeley Square. Alle Fenster des Hauses waren hell erleuchtet, schimmerten warm und willkommenheißend durch die inzwischen alles verhüllende Dunkelheit. Der Droschkenfahrer stieg aus und betätigte den Klingel-zug neben der Tür. Gleich würde Mr. Wilson dienstbeflissen herbeieilen.
    »Für eine ganze Weile«,

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