Das Haus Der Schwestern
ihren Tränen, während das Beben ihres Körpers langsam nachließ unter Phillips streichelnden Händen.
»Es ist ja schon gut«, sagte er sanft. »Es ist alles gut.«
»Ich werde es nie vergessen können. Vielleicht kann ich es nie verwinden.«
»Du wirst es verwinden. Ich werde da sein. Ich werde immer für dich da sein.«
Irgendwo tief in ihr schrillte eine Alarmglocke. Was meint er damit? Er ist ein guter Freund. Mehr wird er nie sein, und das sollte ich ihm sagen.
Aber gleich darauf kam sie sich albern vor, denn vielleicht dachte er ja auch nur an Freundschaft, und zudem mochte sie jetzt kein Gespräch darüber führen. In den letzten Monaten war sie sich wie ein krankes, einsames Kind vorgekommen. Sie genoß das Gefühl, von einem Menschen gehalten, gestreichelt, getröstet zu werden.
»Ich gehöre zu dir«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr. Sein Atem streifte warm ihr Gesicht. Sie wußte später nicht, wie es geschehen war, daß ihrer beider Lippen sich berührten. Sie schmeckte ihre eigenen, salzigen Tränen.
Wie angenehm es ist, dachte sie.
Seine Hände glitten unter ihren Pullover, und das störte ihre Gedanken. Sie wich zurück.
»Phillip ...«
Er atmete schneller. Er preßte seinen Kopf an ihre Brust. »Ich liebe dich, Frances«, murmelte er, »ich muß dich... ich will dich haben, Frances!«
Frances hatte eine recht genaue Vorstellung, worauf er hinauswollte. Sie war auf dem Lande aufgewachsen und hatte eine Menge beobachten können. Letzte Wissenslücken hatten die erotischen Geschichten in Margarets Bücherregal gefüllt. Sie hatte den Eindruck, sie sollte Phillip davon abhalten, weiterzumachen.
»Phillip, bitte laß mich los!« sagte sie.
Etwas in ihrer Stimme brachte ihn zur Besinnung. Er hob ruckartig den Kopf, zog seine Hände fort. Seine Wangen röteten sich. »Mein Gott, Frances, verzeih mir bitte. Ich...«
»Schon gut«, sagte Frances. Sie stand auf, ging zur Kommode, kramte ein Taschentuch hervor und trocknete sich das Gesicht, putzte die Nase.
»Ich muß mich entschuldigen«, sagte sie, »mich hinzusetzen und zu heulen ...«
Er stand mit hängenden Armen mitten im Zimmer. »Sicher denkst du, ich hätte die Situation ausnützen wollen ...«
»Unsinn. Wirklich, es ist alles in Ordnung.«
»Ich möchte nicht, daß du glaubst, ich... ich hätte nur ein flüchtiges Abenteuer gesucht...«
Fast mußte sie lächeln. Der Gedanke, ausgerechnet Phillip könnte ein flüchtiges Abenteuer suchen, schien zu absurd.
»Ich glaube so etwas bestimmt nicht, Phillip. Mach dir bitte keine Gedanken.«
»Ich...« Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber offensichtlich wagte er es nicht.
»Ich gehe dann«, meinte er schließlich. »Gute Nacht, Frances.«
»Gute Nacht, Phillip.« Sie sah ihm nach, wie er das Zimmer verließ und die Tür hinter sich zuzog. Sie atmete tief.
Es wird Zeit, sagte sie sich, es wird wirklich Zeit, daß du wieder auf die Beine kommst.
Eine knappe Woche später vollendeten sie, was sie an jenem Abend begonnen hatten. Frances erinnerte sich später an den Tag auch deshalb so deutlich, weil einige Aufregung im Land herrschte. Die Zeitungen überschlugen sich mit Sondermeldungen. Der englische Außeriminister hatte bekanntgegeben, daß es keinerlei Abkommen gebe, das England zur militärischen Unterstützung Frankreichs zwinge. Daraufhin erinnerte die alarmierte französische Regierung an eine Absprache, wonach sich England verpflichtet habe, Frankreich im Falle eines deutschen Angriffs zu Hilfe zu kommen. Die deutsche Regierung fühlte sich dadurch aufgerufen, ihre Friedfertigkeit zu beteuern und zu erklären, Deutschland hege keinerlei Angriffsabsichten gegen irgend jemanden. Aber durch das ganze Hin und Her war die Möglichkeit eines deutschen Angriffskrieges wieder einmal zum Thema geworden, und an allen Straßenecken wurde voller Panik diskutiert, was in einem solchen Fall wohl geschehen und inwieweit sich England darin verstricken würde.
Margaret verbrachte den Nachmittag außer Haus bei ihrem obligatorischen Bridge-Tee, obwohl sie zunächst verkündet hatte, ihr stehe der Sinn nicht nach Geselligkeit in diesen schlechten Zeiten, und nun, da auch noch ein Kriegsausbruch drohe...
»Tante Margaret, der Krieg wird bestimmt nicht heute ausbrechen«, sagte Frances beschwichtigend. »Und morgen sicher auch nicht. Wenn du dir solche Sorgen machst, ist es ohnehin besser, du gehst unter Menschen, das lenkt dich ein bißchen ab.«
Margaret lamentierte noch eine Weile
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