Das Haus Der Schwestern
vor sich hin, aber schließlich siegte natürlich ihre Lebenslust, und sie machte sich auf den Weg.
Frances und Phillip tranken im Salon zusammen Tee, aber obwohl das Hausmädchen frisch gebackenen Kuchen dazu servierte, brachte keiner von ihnen einen Bissen hinunter. Eine Spannung hatte sich zwischen ihnen aufgebaut, die sich von Tag zu Tag steigerte und von ihnen nicht mehr ignoriert werden konnte. Sie waren nicht länger wie Bruder und Schwester oder einfach zwei junge Menschen, die zufällig im selben Haus wohnten; jetzt waren sie ein Mann und eine Frau.
Es war überaus typisch für die weltfremde Margaret, daß sie sich zwar um alles und jedes Gedanken und Sorgen machte, die brisante Problematik, die sich aus dem Zusammenleben eines jungen Mannes und einer jungen Frau in ihrem Haus ergeben konnte, jedoch völlig übersah.
Irgendwann an diesem Nachmittag küßten sie einander erneut, dann gingen sie hinauf in Frances’ Zimmer, und als sie einander dort gegenüberstanden, glühten Phillips Augen vor Liebe, während sich Frances nüchtern fragte, wie es wohl sein würde und ob es ihr das Gefühl geben würde, endlich wirklich erwachsen zu sein.
Sie fand es unangenehm und unästhetisch, und sie fragte sich verwirrt, was die Leute nur daran fanden. Die ganze Angelegenheit wurde stets so geheimnisvoll behandelt, die jungen Leute eindringlich davor gewarnt, und man flüsterte und tuschelte und kicherte; es schien sich um einen Zeitvertreib zu handeln, der die Gemüter erregte und der vielfach praktiziert wurde.
Frances reagierte durchaus erregt auf Phillips Hände und Lippen, aber sie war zu nervös und Phillip zu ungeübt, als daß diese Erregung hätte anhalten können. Sie flaute von einem Moment zum anderen völlig ab; statt dessen verkrampfte sich jeder Muskel in Frances’ Körper. Sie lag viel zu angespannt da, war aber entschlossen, durchzuhalten. Verwundert betrachtete sie Phillips Gesicht, das ganz verändert aussah, längst nicht so attraktiv wie sonst, sondern schweißglänzend und mit einem leeren Ausdruck in den Augen. Frances überlegte, ob alle Männer in dieser Situation so aussahen, so weggetreten und stumpfsinnig.
Ob John auch so aussah? Der Gedanke an ihn tat ihr überraschend heftig weh. Auf einmal fand sie, daß sie hier etwas völlig Absurdes tat, und sie hoffte nur noch, daß Phillip zum Ende käme. Das einzige, was ihr wirklich gefiel, war, hinterher in seinen Armen zu liegen, seinen warmen Körper an ihrem Rücken, seinen gleichmäßigen Atem in ihren Haaren zu spüren. Er war sofort eingeschlafen, was Frances jedoch nicht störte, denn so konnte sie ihren Gedanken in Ruhe nachhängen.
Schließlich wachte er auf und begriff offenbar plötzlich, was geschehen war. Er tat einen erschreckten Atemzug, dann schlossen sich seine Arme fester um Frances.
»Wir heiraten natürlich«, flüsterte er, »ich liebe dich, Frances. Ich möchte, daß du meine Frau wirst.«
Sie hoffte, daß er ihr Schweigen nicht als Zustimmung interpretierte.
In den folgenden Wochen gesundete Frances - von Tag zu Tag mehr, sichtbar für alle. Sie aß wieder, sie schlief, sie unternahm lange Spaziergänge. Ihre bleichen Wangen bekamen Farbe, ihre Augen etwas von ihrem alten Glanz. Sie lächelte wieder häufiger und lachte manchmal sogar aus vollem Herzen. Margaret beobachtete das mit wachsender Zufriedenheit, und eines Morgens, Ende Mai, als sie und Frances allein beim Frühstück saßen, strahlte sie ihre Nichte an und zwinkerte ihr zu.
»Ich weiß schon, warum es dir bessergeht!«
»Warum denn?« fragte Frances ahnungslos.
Margaret senkte die Stimme, obwohl niemand in der Nähe war. »Phillip hat sich mir gestern anvertraut. Er hat mir erzählt, daß ihr heiraten werdet. Oh, Frances, ich freue mich so für dich!«
Frances hob rasch ihre Teetasse und trank in großen Schlucken daraus, bemüht, Zeit zu gewinnen. Die Angelegenheit wurde brenzlig. Phillips Werben in den letzten Wochen war sie beharrlich ausgewichen, hatte an anderes gedacht, wenn er begann, von der Zukunft zu schwärmen. Nun begriff sie, daß sie ihre Taktik, Augen und Ohren zu verschließen, nicht endlos fortsetzen konnte. Sie hatte mit ihm geschlafen, und er nahm das als ein Versprechen; nun war es höchste Zeit, daß sie ihm aufrichtig sagte, woran er war. Schließlich begann er bereits, zu dritten Personen davon zu sprechen - wobei die Tatsache, daß ausgerechnet Margaret Bescheid wußte, einer öffentlichen Bekanntmachung gleichkam.
»Das
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