Das Haus Der Schwestern
dem Zimmer und warf die Tür hinter sich zu.
Der Empfang fand im kleinen Kreis statt, nicht im großen Saal, sondern im kleinen, weitaus gemütlicheren Eßzimmer mit seinen holzgetäfelten Wänden und den zahlreichen Ahnenporträts aus der Zeit des Bürgerkrieges. Etwa zwanzig Leute hatten sich versammelt, um auf das junge Paar anzustoßen. Als die Grays eintrafen, waren John und Victoria noch nicht aufgetaucht; nur die alte Mrs. Leigh fungierte als Gastgeberin, in einem dunkelgrauen Kleid mit weißem Spitzenkragen und altem Granatschmuck.
»Wo sind die beiden denn?« erkundigte sich Maureen, und ein älterer Herr, der dem dargebotenen Sekt schon reichlich zugesprochen hatte, rief: »Aber gnädige Frau, die wissen sicher Besseres zu tun, als hier mit uns zu frühstücken!« Er grinste anzüglich, und Maureen lächelte verlegen.
Es ist ein Alptraum, dachte Frances, ein einziger Alptraum!
John und Victoria tauchten schließlich auf, Victoria sehr frisch und jung anzusehen in einem blaßgelben Musselinkleid, eine zweireihige Perlenkette um den Hals - das Hochzeitsgeschenk ihrer Schwiegermutter. John trug einen schlichten, dunklen Anzug und eine Krawatte, auf der sich graue und hellgelbe Streifen abwechselten; genau das Gelb, das Victorias Kleid hatte. Er wirkte nicht so glücklich wie seine Frau, aber das fiel wohl nur Frances auf, die ihn schärfer beobachtete als jeder andere im Raum.
Maureen stellte ihr Glas ab, trat auf Victoria zu, nahm sie in die Arme und flüsterte ihr irgend etwas zu. Victoria lächelte, eine sanfte Röte huschte über ihre Wangen.
Frances atmete scharf ein und wandte sich ab. Aufgrund ihrer neugewonnenen Erfahrung besaß sie eine nur allzu genaue Vorstellung vom Ausmaß der Intimität, die sich zwischen John und Victoria in der vergangenen Nacht abgespielt hatte, und sie selbst hatte während langer, wacher Stunden gegen die Bilder angekämpft, die sich ihr aufdrängen wollten. Inbrünstig hatte sie gehofft, es sei wenigstens schrecklich und unangenehm für Victoria gewesen, aber so sah diese nicht aus. Wahrscheinlich war John ein besserer Liebhaber als Phillip, wahrscheinlich ...
Hör auf, darüber nachzudenken, befahl sie sich, hör sofort damit auf!
Ihr Sektglas war schon wieder leer, aber ein Diener kam gerade mit einem Tablett vorbei, und sie nahm sich ein neues. Sie wußte, daß sie auf nüchternen Magen — sie hatte schließlich auch am Vortag nichts gegessen — zuviel Alkohol trank, aber für den Moment milderte das zumindest ihre innere Spannung. Als John auf sie zutrat, um sie zu begrüßen, hatte sie dieses nächste Glas auch schon wieder fast geleert und war in der Lage, ihm ruhig in die Augen zu blicken.
An diesem Morgen küßte er nicht ihre Stirn, sondern ihre Hand. Diesmal hatte er sich auf die Begegnung vorbereiten können. Er wirkte ausgeglichener als am Vortag.
»Ich habe gehört, daß du sehr krank warst«, sagte er. »Ich bin froh, daß es dir offenbar bessergeht. Du siehst gut aus.«
Das war weit höflicher als ehrlich. Frances wußte, daß sie nach dieser durchwachten Nacht schlecht aussah. Der Blick in den Spiegel am frühen Morgen hatte ihr gezeigt, daß sie dunkle Schatten unter den Augen hatte und gespenstisch bleich war.
»Und ich habe gehört, du hast den Wahlkreis gewonnen«, erwiderte sie. »Du kannst sehr stolz auf dich sein. Es war sicher nicht leicht.«
»Um ehrlich zu sein, ich habe selbst kaum daran geglaubt, es diesmal schon zu schaffen«, sagte John, »und es war auch ziemlich knapp. Aber ich bin froh, daß ich diese Hürde habe nehmen können. «
»Du wirst jetzt oft in London sein?« »Wir brechen noch heute dorthin auf. Übermorgen beginnen die Krönungsfeierlichkeiten. Als Abgeordneter muß ich daran teilnehmen. Eine Woche lang. Es wird sicher ziemlich anstrengend.«
»Ach ja, die Krönung!«
Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht, daß in London die Vorbereitungen für die Krönung von George V. seit Wochen auf Hochtouren liefen. Alle diese Dinge hatten lange Zeit keine Bedeutung für sie gehabt. Aber nun dachte sie plötzlich daran zurück, wie vor etwas über einem Jahr König Edward gestorben war. Nun krönten sie seinen Sohn. Irgendwo dazwischen war ihr ganzes Leben umgestürzt, hatte sie Menschen verloren, die sie liebte, hatte sie auch etwas von sich selbst verloren. Auf einmal löste sich die Heftigkeit ihrer verletzten Gefühle auf. Zurück blieb eine stille, unbestimmte Traurigkeit.
Sie öffnete den Mund, um ihn zu fragen,
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