Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
warum er das getan, warum er Victoria geheiratet hatte — aber es traf sie ein beschwörender Blick aus seinen Augen, und sie begriff, daß er wußte, was sie hatte fragen wollen, und daß er sie bat, es nicht zu tun.
    So sagte sie nur: »Nun, vielleicht treffen wir uns einmal in London. Obwohl ich noch nicht genau weiß, wo ich in Zukunft leben werde.«
    »Ich wünsche dir, daß du glücklich wirst«, sagte John leise, gerade noch, ehe Victoria neben ihn trat und seinen Arm nahm. Sie lächelte ihre Schwester unsicher an.
    »Wir sollten jetzt mit dem Frühstück beginnen«, meinte sie, »die Gäste sind sicher schon hungrig. Deine Mutter meinte, ich sollte den Anfang...« Sie verstummte ohne ersichtlichen Grund.
    »... du als Hausherrin solltest den Anfang machen«, vollendete John, »und du wirst sicher sehr charmant sein.« Es klang liebevoll.
    Es stimmt nicht, was Großmutter sagt, dachte Frances. Er liebt sie. Und warum auch nicht? Sie ist jung, hübsch, und sie betet ihn an. Sie hat alles, was ich nicht habe.
    »Du entschuldigst uns?« fragte John höflich.
    Sie nickte. »Selbstverständlich.«

    Irgendwie ging dieses Frühstück vorüber. Das Wetter, warm und sonnig wie am Vortag, lockte die Gäste in den Park hinaus, wo sie in kleinen Gruppen beisammenstanden, herumschlenderten oder auf den Bänken im Schatten der Bäume saßen. John und Victoria waren hinaufgegangen, um sich für die Reise fertig zu machen. Der Wagen, der sie zum Bahnhof nach Northallerton bringen sollte, stand bereit. Noch eine halbe Stunde, und sie wären verschwunden.
    Frances hatte sich in die Bibliothek verzogen. Ein düsterer Raum, mit seinen bleigefaßten Butzenglasfenstern, die wenig Licht einließen. Außer den deckenhohen Regalen gab es nur zwei Sessel und einen Tisch. Die Luft roch abgestanden und war sehr kühl.
    Ich werde einen Moment hierbleiben und dann gehen, dachte Frances. Sie hatte reichlich schwarzen Kaffee getrunken, um zu vertuschen, daß sie nichts aß. Die Wirkung des Sektes hatte das nicht mindern können. Ihr war schwindelig, und in ihrem Magen rumorte es. Das Dämmerlicht jedoch, die kühle Luft, der Geruch nach Staub und Leder legten sich besänftigend auf ihr Gemüt und gaben ihr etwas von ihrem Seelenfrieden zurück.
    Sie erinnerte sich, wie sie sich an einem weit zurückliegenden Tag, irgendwann in den Jahren ihrer Kindheit, beim Versteckspiel mit John hier in der Bibliothek verkrochen hatte, in einer kleinen Nische in der Wandtäfelung. Die Nische gab es noch, doch schien es nicht mehr vorstellbar, daß sie dort hineingepaßt hatte.
    John hatte sie schließlich gefunden. Er hatte ihr geholfen, sich aus dem Versteck herauszuwinden, dann waren sie einander gegenübergestanden, er hatte sie angesehen und gesagt: »Da ist eine Spinnwebe in deinem Haar! « Seine Stimme hatte atemlos geklungen. Er hatte sich vorgebeugt und ihren Haaransatz geküßt, dann hatte er gelacht: »Jetzt ist sie weg!«
    Sie hatte das sehr romantisch gefunden und sich lange Zeit gewünscht, wieder einmal eine Spinnwebe im Haar zu haben, doch es war nicht mehr passiert.
    Eigenartig, daß sich hier nichts verändert hat, dachte Frances nun. Als sei die Zeit stehengeblieben! Jeden Moment könnte die Tür aufgehen, und John ...
    Die Tür ging auf, und Victoria kam herein.
    Sie hatte ihr gelbes Kleid vom Frühstück gegen ein graues Reisekostüm getauscht, in dem sie noch einmal um einige Jahre älter aussah. Am Revers ihrer Jacke steckte eine rosafarbene Rose; mit den gleichen Blumen war auch der graulackierte Strohhut geschmückt, den sie in den Händen hielt. Wie schon zuvor sah sie ungeheuer perfekt aus. Zuerst war sie die Politikersgattin gewesen, die ein Frühstück gibt, jetzt war sie die Politikersgattin auf Reisen. Niemand hätte es besser machen können.
    »Eines der Mädchen meinte, es habe dich in die Bibliothek gehen sehen«, sagte sie. »Was tust du denn hier so allein?«
    »Ich brauchte einen Moment Ruhe«, entgegnete Frances. »Ich weiß, ich hätte nicht einfach ...«
    Es ist ihr Haus, nicht deines! Du hast kein Recht, in irgendwelche Zimmer zu gehen und die Tür hinter dir zu schließen!
    »Nein, nein, schon gut«, sagte Victoria sofort. Sie musterte ihre Schwester besorgt. »Du bist sehr blaß, Frances.«
    »Das macht das Licht hier drinnen.«
    »Ja, vielleicht...« Victoria schien unschlüssig und unsicher.
    »Du hast viel mitgemacht«, sagte sie schließlich. »Mutter hat erzählt, daß sie dich im ... im Gefängnis

Weitere Kostenlose Bücher