Das Haus Der Schwestern
keiner Leidenschaft fähig ist, aber sie hat eine deutliche Leidenschaft für ihre Heimat. Sie hat das alles hier sehr geliebt. Und irgendwie fange ich durch ihre Schilderungen auch an, es zu lieben.«
»Ich kann das von mir nicht behaupten.«
Ralph hatte das Holz sauber gestapelt und stand wieder auf. Die grauen Stoppeln auf seinen Wangen hatten sich zu einem gleichmäßigen dunklen Schatten verdichtet. Er sah abgekämpft aus.
»Ich sehne mich nur noch fort von hier. Ich möchte wieder Musik hören, fernsehen und morgens heiß duschen. Ich möchte essen, was ich will und soviel ich will. Weißt du, was ich ständig vor mir sehe? Einen Gänsebraten. Klöße. Rotkraut. Und Weihnachtsplätzchen und Punsch und ...«
»Und Enzyme, um das Ganze zu verdauen«, ergänzte Barbara. Sie hob ihren Pullover und spielte mit dem locker sitzenden Bund ihrer Jeans.
»Ich habe auch scheußlichen Hunger, aber das hier ist ein guter Nebeneffekt! «
Ein sehr guter. Es hatte noch immer eine berauschende Wirkung auf sie, wenn Kleider weiter wurden.
»Ich werde versuchen, es auch so zu sehen«, sagte Ralph. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »So. Für morgen haben wir jedenfalls genug Holz.«
Jetzt erst begriff Barbara, daß er offenbar die ganze Zeit über schon wieder im Schuppen Holz gehackt hatte. »Wie spät ist es eigentlich?« fragte sie.
Ralph blickte auf seine Armbanduhr. »Viertel vor zwölf. Also fast Mitternacht.«
»Und da arbeitest du noch?«
Er zuckte die Schultern. »Was ich jetzt schaffe, muß ich nicht morgen früh machen. Und wir hätten uns ohne Holz nicht einmal einen Kaffee zum Frühstück kochen können.«
Sie blickte auf seine Hände. Die Blasen hatten sich wieder geöffnet und bluteten.
»Morgen werde ich versuchen, Holz zu hacken«, sagte sie. »Deine Hände müssen heilen.«
»Kommt nicht in Frage. Ich fange endlich an, mich etwas geschickter anzustellen. Bis wir hier wieder abreisen, kann ich einen neuen Beruf daraus machen. Ich muß nur irgendwo im Haus andere Handschuhe auftreiben, meine sind völlig kaputt.«
Sie lächelte. »Du siehst richtig abenteuerlich aus.«
Ralph erwiderte ihr Lächeln. »Glaubst du, du nicht?«
Er trat auf sie zu und berührte sacht ihr geschwollenes Kinn. »Das hier wird immer farbintensiver. Äußerst apart, würde ich sagen.«
Sie zuckte leicht zurück. »Es tut auch ziemlich weh. Wahrscheinlich ist es ganz gut, daß mich im Augenblick niemand sieht. Außer dir natürlich«, fügte sie hinzu.
»Nun, und ich zähle ja nicht«, sagte Ralph und lachte, aber das Lachen klang nicht ganz echt.
Sie standen sehr dicht voreinander, und es lag plötzlich eine Spannung zwischen ihnen, die Barbara verunsicherte — sie, die schon lange durch nichts mehr zu verunsichern gewesen war.
Man wird ganz neurotisch, wenn man zusammen tagelang in einem Haus eingesperrt ist, dachte sie und trat einen Schritt zurück.
»Schneit es eigentlich noch?« fragte sie, um etwas Sachliches zu sagen.
Ralph schüttelte den Kopf. »Schon seit einigen Stunden nicht mehr. Ich will es ja nicht beschwören, aber vielleicht haben wir das Schlimmste hinter uns.«
»Wenn es aufgehört hat zu schneien — meinst du, sie werden jetzt bald alles wieder in Ordnung bringen? Die Stromleitungen und das alles?«
»Sie werden sicher damit anfangen. Bloß — bis wir hier wegkommen, wird es noch etwas dauern. Du mußt es noch eine Weile mit mir aushalten.«
»Ach — warum redest du so? Es ist nichts, was ich aushalten müßte. Ich... habe ja kein Problem mit dir.«
»Ich dachte, unser Leben bestünde nur aus Problemen. Deshalb seien wir überhaupt hier.«
»Aber irgendwie scheint das alles im Moment gar nicht so wichtig. Wahrscheinlich liegt es an diesem verdammten Schneesturm. Es käme mir ganz eigenartig vor, über Beziehungsschwierigkeiten zu sprechen, wenn unser tägliches Hauptproblem darin besteht, Feuerholz und etwas zu essen zu bekommen!«
»Diese Sorgen sind sicher wesentlich akuter, da hast du recht.«
Barbara hatte sich unmerklich noch ein kleines Stück weiter zurückgezogen.
»Es wird sich alles finden«, sagte sie unbestimmt.
Ralph schüttelte den Kopf. »Einfach so von selbst wird sich nichts finden. Wir sitzen hier nicht ewig fest, Barbara. Wir werden in unser altes Leben zurückkehren, und wir werden eine Entscheidung fällen müssen, was uns beide betrifft. Ich bin fast vierzig Jahre alt.« Er lächelte freudlos. »Jedenfalls trennen mich keine zehn Minuten mehr davon. Mit
Weitere Kostenlose Bücher