Das Haus der Sonnen
metallenen Wangenknochen und ihre sinnlichen, wie nach einem Bienenstich geschwollenen stählernen Lippen reflektierten das Licht des Hangars. »Ich bin erstaunt, Portula. Sie verfügen über eine Waffe, mit der Sie mich verletzen könnten, und behaupten, einen Raumanzug zu tragen. Sie haben von meiner fortbestehenden Existenz keine Vorteile zu erwarten und haben trotzdem noch nicht auf mich gefeuert.«
»Ich wollte Ihnen den Vortritt lassen.« Meine Hand krampfte sich um die Waffe. Die Levatoren fixierten sie so gut, dass ich mich daran wie an einem Geländer festhalten konnte. »Ich könnte Ihnen die gleiche Frage stellen.«
»Der Antrieb der Arche arbeitet noch. Obwohl er unsere Erfolgsaussichten nur geringfügig beeinträchtigen kann, wäre es besser, wenn Sie ihn abstellen würden.«
»Dann töten Sie mich und schalten Sie ihn selbst ab.«
Kadenz hob die Hand und ließ ihre Mehrfachwaffe wieder unter der Armverkleidung verschwinden. »Sie trauen mir kein Mitgefühl zu, doch ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen. Schalten Sie den Antrieb ab, dann können wir eine Vereinbarung treffen, die Ihr Überleben sichert. Ich werde Ihnen Zeit lassen, über meinen Vorschlag nachzudenken.«
Mein Herzschlag fühlte sich an wie ein Pulsar kurz vor der Explosion. Ich spürte, dass ich nur einen winzigen Fehler, eine falsch formulierte Bemerkung vom Tod entfernt war. Ich hätte Kadenz selbst dann nicht angreifen können, wenn ich es gewollt hätte, denn in Wahrheit trug ich keinen Raumanzug. Ich hatte keine Zeit mehr gehabt, einen anzufertigen; es hatte lediglich für die Waffe gereicht.
Ich musste demonstrieren, dass ich Herr der Situation war.
»Entfernen Sie sich von dem Raumschiff. Ich schieße nur deshalb nicht, weil Kaskade noch übrig bliebe und ich weiß, dass Sie Kopien von sich anfertigen können. Aber Sie wollten die Silberschwingen aus einem ganz bestimmten Grund übernehmen. Aus einem sehr triftigen Grund, sonst wären Sie das Risiko, mit einer menschlichen Metazivilisation einen Krieg zu beginnen, nicht eingegangen.«
Kadenz glaubte mir offenbar, denn sie wich mehrere Schritte zurück.
»Sie können uns nicht aufhalten«, sagte sie. »Wir haben alles unter Kontrolle.«
»Wenn Sie meinen. Aber die Sache ist die, ich bin nicht überzeugt davon, dass Sie mich am Leben lassen werden, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben. Und wenn ich auf jeden Fall sterben muss – wovon ich mit einiger Sicherheit ausgehe -, dann sollte dies zu meinen Bedingungen geschehen und zu etwas nütze sein.«
Mit unerwarteter Eindringlichkeit sagte Kadenz: »Tun Sie das nicht. Es würde unser aller Interessen zuwiderlaufen.«
»Jetzt hören Sie mir endlich zu. Das ist gut.«
Ich hatte den Eindruck, dass sie fieberhaft rechnete und ein nahezu unendliches Spektrum von Möglichkeiten analysierte. Hätte eine Maschine schwitzen können, hätte Kadenz es jetzt getan. »Wir sollten verhandeln«, sagte sie. »Ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie alles in Ruhe durchdenken können. Wenn Sie den Antrieb der Arche ausschalten, können Sie das Arrangement für Ihr Überleben festlegen. Wenn uns die Bedingungen akzeptabel erscheinen, lassen wir uns darauf ein.«
Damit hatte ich nicht gerechnet, doch das wollte ich mir nicht anmerken lassen. »Was meinen Sie mit Arrangement?«
»Sie werden in unserem Namen mit den anderen Menschen verhandeln. Sie werden sie dazu bringen, die Verfolgung einzustellen, dann lassen wir Sie frei.«
»Und das soll ich Ihnen glauben?«
Kadenz wollte etwas sagen – mit wohlklingender, gelassener Stimme eine Erwiderung vorbringen -, doch sie konnte den Satz nicht mehr beenden. Dann ging alles so schnell, dass weder meine Augen noch mein Verstand dem Geschehen folgen konnten. Ich konnte es erst im Nachhinein anhand der Fragmente rekonstruieren, die durch den hoffnungslos verstopften Flaschenhals meiner animalischen Sinne hindurchgewandert waren.
Hesperus griff Kadenz an. Da er unbewaffnet war – vor Verlassen der Arche hatte er keine Zeit gehabt, eine Waffe anfertigen zu lassen -, hatte er nur das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Und die Überraschung war ihm recht gut gelungen, denn Kadenz’ Reaktion ließ nicht erkennen, ob sie darauf gefasst gewesen war, dass Hesperus sich in der Dunkelheit des Hangars an sie anschleichen könnte. Ich musste daran denken, wie er bei unserer ersten Begegnung auf die Brücke der Bummelant getreten war. Damals hatte er mich an die Raubkatze, die mir im Puppenpalast gehörte,
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