Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
Vom Netzwerk:
und die David-Statue im Flur des Familienhauses erinnert. Diese widersprüchlichen, aber einander ergänzenden Eindrücke wurden wieder wach, als er den anderen Robot ansprang und ihn zu Boden warf. Die beiden dunklen Gestalten rangen mit so wahnsinnig beschleunigten Bewegungen miteinander, dass ich lediglich eine wogende Masse wahrnahm, eine Art Metall gewordene Wahrscheinlichkeitswolke aus dem Quantenraum. Dies alles fand im Vakuum in vollkommener Lautlosigkeit statt. Dann blitzte es so hell, dass einen Moment lang der ganze Hangar erleuchtet wurde, und dann sah ich auf einmal wieder zwei getrennte Robots vor mir.
    Beide lagen reglos da.
    Beide waren beschädigt.
    Hesperus lag auf dem Rücken, fünf oder sechs Meter von Kadenz entfernt. An der Stelle, wo sich sein Herz befunden hatte, wenn er ein Mensch gewesen wäre, war ein dunkles Loch. Seine Verkleidung changierte zwischen Schwarz und Gold, Gold und Schwarz, dann blieb sie dunkel. Kadenz lag auf der Seite, das Gesicht Hesperus zugewandt, als hätte sie sich für ein kurzes Nickerchen hingelegt. Ihr Waffenarm war am Ellbogen abgetrennt worden und lag drei oder vier Meter hinter Hesperus. Eine wogende Masse silbriger Schaltungen sickerte zusammen mit einer quecksilberartigen Paste aus dem Stumpf. Hesperus wirkte tot, doch in Kadenz war noch Leben. Da ich die Arche nicht verlassen konnte, musste ich tatenlos zuschauen.
    »Hesperus«, sagte ich zu der Schalttafel, »du musst aufstehen.«
    Kadenz regte sich kaum merklich. Lichter flackerten in ihrem Kopf, und die Finger des unversehrten Arms zuckten. Der Kopf verlagerte sich ruckartig, bis sie den Armstumpf sehen konnte. Ihr Gesichtsausdruck war so gelassen wie eh und je.
    Der silbrige Maschinenbrei schob sich weiter aus dem Stumpf hervor. Er bildete einen Fortsatz, einen hellen Faden, der schließlich den Boden berührte. Der Fortsatz dehnte sich weiter aus und wanderte vom Körper weg. Zunächst dachte ich, sie habe es auf Hesperus abgesehen und wolle ihm etwas antun – das Robotäquivalent eines Todeskusses etwa -, doch dann machte der Fortsatz einen Bogen um ihn herum und wanderte auf den abgetrennten Arm zu.
    »Hesperus«, sagte ich, »bitte wach auf!« Ich wollte schreien, doch das hätte keinen Sinn gehabt. Wenn er mich nicht so schon hörte, konnte ich ihn nicht erreichen.
    Der Fortsatz setzte seine Wanderung fort. Als er den Arm erreichte hatte, umschlang er ihn wie eine Schlingpflanze den Ast eines Baumes. Dann zog er sich langsam, aber stetig wieder zusammen und zerrte den Waffenarm mit sich mit.
    »Hesperus, bitte!«, sagte ich.
    Diesmal reagierte er. Die Lichter in seinem Kopf leuchteten kurz auf. Der Fortsatz hatte bereits ein Viertel des Weges zurückgelegt.
    »Sie lebt noch. Kadenz lebt.«
    Kreischende, verworrene Laute kamen aus der Tür – als schrien hundert Menschen gleichzeitig in hundert verschiedenen Sprachen. Ich hatte das Gefühl, Hesperus wolle mir mitteilen, dass er sehr stark verletzt sei. Das aber wusste ich bereits.
    »Steh auf!«, sagte ich mit größerem Nachdruck. »Die Zeit wird knapp. Entweder du stehst jetzt auf, oder wir sind beide tot. Tu, was ich dir sage, Robot!«
    Er regte sich. Ein träges Gähnen, das den ganzen Körper erfasste. Dann lag er wieder unbeweglich da.
    »Kadenz ist im Begriff, sich wiederherzustellen«, sagte ich. »Wenn du sie nicht daran hinderst …«
    »Mortu«, sagte er; entweder versuchte er meinen Namen auszusprechen, oder er wollte seinen Zustand charakterisieren.
    »Beweg dich, mein Goldjunge! Ich brauche dich.«
    Er regte sich erneut – diesmal wirkte die Bewegung koordinierter. Mit einer konvulsiven Zuckung wälzte er sich auf die Seite. Jetzt sah er den anderen Robot direkt an. Der abgetrennte Arm wanderte zwischen ihnen entlang, die Hälfte des Weges lag bereits hinter ihm. Hesperus hob einen Arm, spreizte die Finger und setzte die Handfläche auf den Boden. Er stemmte sich hoch, bis er den anderen Ellbogen unter den Oberkörper schieben und sich damit hochdrücken konnte. Dann zuckten seine Beine, und er nahm eine Haltung zwischen Liegen und Sitzen ein. Das kostete ihn offenbar viel Kraft, denn mehrere Sekunden lang verharrte er regungslos. Der abgetrennte Arm hatte nur noch ein paar Meter zurückzulegen, dann würde er sich wieder mit Kadenz vereinigen. Offenbar war auch sie in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt, doch sobald der Arm wieder an Ort und Stelle säße, würde sie über eine Waffe verfügen und könnte zielen und feuern. Als ich

Weitere Kostenlose Bücher