Das Haus der Tänzerin
Haus. Neben dem Bett bückte sie sich, schob die Bilder durch die Ritze und ließ sie in die Dunkelheit darunter fallen. Sie konnte sie später wieder bergen.
Vicente wandte sich um, als er das leise Klackern ihrer Absätze auf der Treppe hörte. Seine Wut verflog, Begierde pumpte durch seine Adern, unaufhaltsam wie flüssiges Feuer. »Rosa, Rosa …«, flüsterte er und streichelte die leichte Rundung ihres Bauchs durch den voluminösen, roten Rock ihres Kleids. »Mein kleines Täubchen ist also nach Hause geflogen. Du bist gerade rechtzeitig gekommen. Der General hat einen Wagen geschickt«, verkündete er stolz. »Wo warst du denn diesmal? Du warst tagelang weg.«
»Das geht dich nichts an.«
»Ich glaube, du hast das Kind zu der Engländerin gebracht, stimmt’s? Egal. Bald haben wir unser eigenes Kind.« Er trat einen Schritt zurück. »Und? Was hältst du davon?« Er strich über seine neue Uniform.
»Du siehst aus wie ein Faschistenschwein.«
Er schwankte, nicht mehr der Held, sondern nur der tölpelhafte ältere Sohn eines valencianischen Landbesitzers. Doch wie alle Raubtiere roch er die Angst, und als er ihre Augen unsicher flackern sah, verschlang er sie hungrig mit seinem Blick. Er hatte jetzt das Sagen. Er führte sie zur Tür, wo Macu wartete. Die Frauen tauschten einen letzten Blick, der alles ausdrückte, was sie nicht gesagt hatten, all die Träume, aus denen nichts geworden war. Rosa hob das Kinn und ging hinaus in die Nacht.
Als sie durch die Dunkelheit in Richtung Stadt fuhren, fragte sich Rosa: Fühlt es sich so an, wenn man seine letzte Reise antritt? Sie dachte an all die Männer, die auf diese Weise »abgeholt« worden waren. Sie kamen an Häusern vorbei, die jetzt in der Nacht dunkel waren, aus denen jedoch sonst stets warmes Licht gedrungen war, Musik, Stimmen. Nichts davon gab es mehr. Die Leute flohen oder verschwanden einfach. Je näher sie der Stadt kamen, desto stärker roch es nach Feuern, nach Blutbad.
»Mach das Fenster zu, Rosa, es ist nicht …«
»Nein, ich will mich daran erinnern.«
Beim ersten Kontrollposten bremste das Auto. Soldaten überprüften ihre Papiere, musterten die Passagiere. Vicente beugte sich vor. »Na los«, bellte er. »Aus dem Weg mit den Leuten. Der General erwartet uns.« Rosa sah, wie der junge Soldat überrascht die Augen aufriss.
»Ja, Señor.«
Rosa berührte das kühle Glas, als sie an Strömen von Menschen vorbeikamen, die bleich vor Erschöpfung und Angst waren. Ihr Herz klopfte schneller – was, wenn sie ihn in der Menge entdeckte? Was, wenn Jordi es nicht rechtzeitig an die Küste geschafft hatte?
Die schönen blauen Kuppeln der Stadt schimmerten im Zwielicht wie eh und je, der Turia floss weiter. Aber um sie herum hatte sich alles geändert.
»Das ist erst der Anfang«, sagte Vicente. »Sie werden diese Pest ausrotten.«
»Willst du mir drohen?«
»Dir, meine Liebe?« Er nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände. »Nein. Du gehörst mir. Und Macu? Nun, wenn deine kleine Freundin den Kopf gesenkt hält, ist sie bei Santangel sicher.« Er klopfte seine Jackentasche ab und zog ein Lederetui heraus. »Kannst du nicht schneller fahren?«, sagte er gereizt zu dem Fahrer, während er sich eine Zigarre anzündete.
»Tut mir leid.« Der Fahrer zeigte auf die Lastwagen und Panzer, die vorausfuhren.
Er sah auf die Uhr. »Wir laufen, halte an.«
»Meinen Sie wirklich, dass es sicher ist?«
»Zweifelst du an mir?«
»Nein, señor .« Der Fahrer blickte nach vorn und rollte langsam an den Straßenrand.
Vicente ging um das Auto herum zu Rosas Tür. Als er sich auf der Straße umsah, starrte sie das Holster an, das er um die Hüfte trug. Ich könnte ihn erschießen, dachte sie unwillkürlich. Sie stellte sich vor, wie sie durch Nebenstraßen zum Palast gingen, wie sie sich umwandte, ihn küsste, wie sie in einem der dunklen Innenhöfe verschwanden – und dann ein Schuss. Sie stellte sich vor, wie sie durch die Nacht lief, sich vor den Patrouillen versteckte, bei Sonnenaufgang die Küste erreichte, gerade als die Boote ankamen, wie sie den Strand entlangrannte, zu Jordi, wie sie sich umarmten, in der Brandung lachten.
Vicente öffnete die Tür. Sie blinzelte und stieg mechanisch aus dem Auto aus. Sie sah sich um: Aus einem Auto hinter ihnen kamen vier Soldaten. Sie hatten natürlich eine Eskorte.
Vicente blickte die Straße hinunter, zog ostentativ seine Pistole aus dem Holster und nahm ihren Arm. Er führte sie durch die vertrauten
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