Das Haus der tausend Blueten
getan. Und du solltest wirklich diesen Bart abnehmen. Bärte sprießen aus der Stirnlocke des Satans.«
»Genau!«, brüllte jetzt Peter, der offensichtlich seine Stimme wiedergefunden hatte, aus der Menge heraus.
Der Ziegenhirte stieß James zur Seite. Er machte plötzlich einen Sprung nach von, packte Lu See bei den Haaren und drückte sie auf den mit Hühnerkot übersäten Boden. Sie wehrte sich, aber der Mann war kräftig, der jahrelange Umgang mit Tieren hatte seine Muskeln gestählt. Eine Reihe von Zähnen und Zahnfleisch blitzte auf, als er auch mit der anderen Hand nach ihren Haaren grapschte.
»Schwöre ab!«, beharrte er. »Schwöre dem ab, was du getan hast.«
Sie sah neben ihrem linken Auge das Glitzern von Metall. Die Klingen seines Schermessers fraßen sich in ihren Schopf. Ihr entfuhr ein kurzer Laut des Entsetzens. Schwarze Haarbüschel fielen wie verkohlte Weizenähren auf den Boden.
Sie packte sein Handgelenk, hielt ihn so von sich fern. Die Menschen um sie herum, die Gesichter grimmig und abweisend, schnalzten ermunternd mit der Zunge. Sie drängten sich nach vorn, begierig zu sehen, wie diese Teoh bestraft wurde. Lu See wartete darauf, dass ihr jemand zu Hilfe eilte und allen erklärte, dass sie unschuldig sei. Dass das alles nur ein großes Missverständnis sei.
Aber niemand trat für sie ein.
»Ich habe nichts Falsches getan!« Ihre Stimme klang leise, hörte sich in ihren Ohren völlig fremd an. »Bringt Mabel von hier weg«, hörte sie sich sagen.
Allein der Gedanke, dass ihre Tochter Zeuge dieser Demütigung wurde, riss ihr das Herz entzwei. Sie hatte einmal von einem Dorf in Borneo gelesen, in dem man Verbrecher auf eine ganz besondere Art und Weise ausfindig machte: Man führte einem Papagei eine Reihe von Verdächtigen vor und brachte den Vogel dann dazu, einer der Personen auf die Schulter zu fliegen und ihn so zu identifizieren. In aller Regel landete der Papagei auf einem Unschuldigen, der, fälschlich beschuldigt, aber machtlos, irgendetwas dagegen zu tun, gehängt oder mit Bambusstöcken verprügelt wurde. Lu See kam sich jetzt genauso unschuldig wie wehrlos vor.
Sie biss die Zähne zusammen. Was auch immer geschehen würde, sie würde ihre Würde bewahren.
Frauen zupften sich jetzt voller Bestürzung an ihren Ohrläppchen. Männer beobachteten das Ganze mit dem gierig starren Blick von Geldverleihern. Irgendwo im Hintergrund hörte sie ihre Mutter lautstark protestieren und ihre Brüder inständig bitten.
Eine kurze Stille legte sich über die Menge. Und dann zerriss plötzlich ein Schuss die Luft.
Lu See blickte auf und sah erst jetzt, dass der Anführer der MPAJA , der Mann mit den Gummilippen und der nackten Brust, neben ihr stand. Der hochgewachsene Alte zielte mit seiner Waffe direkt zwischen die Augen des Ziegenhirten.
Lu See starrte auf den glatten muskulösen Unterarm des Anführers. Sie sah, wie die Sehnen hervortraten, als er mit dem Daumen den Hahn seines Revolvers spannte. Muskeln, so dick wie Walnüsse, wölbten sich unter der dunklen Haut. Sie beobachtete, wie er die Mündung ein kleines Stück oberhalb der Augenbrauen auf die Stirn des Ziegenhirten setzte, sie in seine Haut drückte, den Lauf dann kippte, sodass jetzt ein kleiner rosa Ring die Mitte der Stirn des Mannes markierte. Sie sah den Schlamm, der verkrustet unter seinen Fingernägeln klebte, als seine Hand den Griff und den Abzug umfasste. Schweiß glänzte auf seinem Bizeps.
Seine Fingerknöchel zuckten.
Der Fischer öffnete und schloss seinen Mund wie ein sterbender Goldfisch. Die Menge war wie versteinert. Der Ziegenhirte ließ sein Schermesser fallen.
Niemand rührte sich. Es war, als wären sämtliche Dorfbewohner mitten in ein Minenfeld geraten und wüssten jetzt nicht mehr, wohin sie ihre Füße setzen sollten.
Völlig unvermittelt hörte sich Lu See sprechen. Sie war selbst überrascht über die Worte, die aus ihrem Mund kamen. »Bitte tu ihm nichts«, sagte sie. »Ich verstehe, warum er wütend ist. Bitte erschieß ihn nicht.«
Der alte Mann fuhr sich mit der Zunge über seine Gummilippen. Der Blick des Ziegenhirten irrte umher, so als suche er nach einem Ort, an den er fliehen könne. Seine Beine aber schienen wie einbetoniert zu sein.
Der Finger des alten Mannes lag auf dem Abzug, liebkoste ihn geradezu.
» Hum gaa chaan! Macht eure Augen und eure Ohren auf, ihr erbärmlicher Haufen von Satay -Fressern. Sehr ihr, was diese Frau ist? Ihr beschuldigt sie des Verrats und habt dabei
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