Das Haus der Tibeterin
Mönche in ihren safranfarbenen Roben vorbei, ihre Gesichter zeigten alle den gleichen Ausdruck, freundlich, milde und abgeklärt. Sie gingen mir alle auf die Nerven. Ich kam mir wie eine aufgeladene Batterie vor, was mich ungeduldig und aufdringlich machte. Ein fremdes Element, gestresst und aggressiv. Im Besuchszimmer stellte ich mich vor den vergoldeten Altar, verneigte mich vor dem Bild Seiner Heiligkeit, und nach einigen unruhigen Minuten wurde es mir wärmer ums Herz.
Kelsang erschien auch diesmal auf die Sekunde pünktlich. Ich verbeugte mich, wie es sich gehörte, faltete die Hände in Brusthöhe. Er berührte flüchtig mein Haar, brummte seinen Segensspruch, bevor er sagte: »Lass uns zu mir gehen. Da können wir ungestört reden.«
Ich wunderte mich, dass er mich in seine Zelle führte. Offenbar hatte sich etwas von meiner Unruhe auch auf ihn übertragen. Ich hatte die Zellen der Mönche schon früher gesehen; die meisten waren farbenfroh und eigentlich recht gemütlich. Kelsangs Zelle, die ich zum ersten Mal betrat, machte mich betroffen. Er schien auf jede Bequemlichkeit zu verzichten. Das karge Bett war nur mit einer braunen Decke belegt, es gab keine bunten Kissen und auch keinen Teppich, bloß den kalten
Betonboden. Die einzigen Farbtupfer bildeten Bücher auf einem Regal, und auf der zusammenklappbaren Schreibtischplatte stand ein Computer, daneben lag eine Lesebrille. Auf einem kleinen Altar mit den winzigen Silberschalen stand eine kleine Buddhastatue aus Messing. Weihrauch kräuselte sich in zarten Spiralen, verströmte seinen beruhigenden Duft. Daneben hing Kelsangs abgenutzte Gebetsschnur. Ein Waschbecken gab es nicht, die Wasch- und Duschräume wurden gemeinsam benutzt. Ein Foto Seiner Heiligkeit, mit Papierblumen geschmückt, hing der Fenstertür und dem kleinen Stehbalkon gegenüber, auf dem einige Topfpflanzen standen.
Kelsang wies auf einen Stuhl.
»Setz dich. Tee?«
Ich nickte, weil ich wirklich Durst hatte. Der Tee stand schon in einer Thermoskanne bereit. Er war stark und schmeckte gut. Ich konnte das jetzt brauchen. Kelsang machte es mir nicht leicht, fragte nicht, was ich denn eigentlich von ihm wollte, sondern wartete stumm, dass ich das Wort ergriff. Ich gab mir einen Ruck.
»Onkel Kelsang, Amla hat mir ihren Rücken gezeigt. Ich … ich hätte mich fast übergeben.«
Er machte eine fatalistische Gebärde, als ob er sagen wollte, es musste ja eines Tages so kommen.
»Was hat sie dir erzählt?«
»Eigentlich nicht das, was ich unter ›erzählen‹ verstehe. Sie hat von ihrer Mutter gesprochen, von Longsela. Vieles hörte sich grauenhaft an, ich kann dir nicht sagen, wie. Ein endloses Drama, ich kam nicht einmal dazu, Zwischenfragen zu stellen. Hat sie diese schrecklichen Dinge wirklich erlebt?«
Er nickte ausdruckslos.
»Ja, damals geschahen schreckliche Dinge.«
Auch jetzt strahlte er die Ruhe und den Gleichmut aus, der den Mönchen eigen ist; dreißig Jahre im Kloster hatten ihn geprägt. Doch ich spürte Unsicherheit hinter der Kraft seiner
Ruhe. Auch Argwohn und Fluchtinstinkt, wie er bisweilen in den Augen wilder Tiere aufblitzt, wenn man sie in die Enge treibt. Aber ich wollte keine Zeit mehr verlieren und feuerte meine nächste Frage direkt auf ihn ab.
»Onkel Kelsang, warum bist du eigentlich ins Kloster gegangen? Nur, weil du in einer kommunistischen Schule warst?«
Seine Augen leuchteten, diese pechschwarzen, fiebrigen Augen. Wieder schien er Dinge zu sehen, die sich hinter meinem Rücken bewegten. Und das waren gewiss keine schönen Dinge. Ich beobachtete ihn und fand, dass er seit meinem letzten Besuch noch magerer geworden war. Es war, als ob er es bewusst darauf abgesehen hätte, alles Fett und Fleisch als Brennstoff zu verbrauchen.
Endlich brach er das Schweigen.
»Die Schule damals? Wir plapperten alle die Propagandaphrasen der Partei nach. Manche von uns verstanden auch schon, was sie sagten. Kinder tragen viel Begeisterung in sich, Sehnsucht nach Reinheit, Aufrichtigkeit und Selbstverleugnung. In unserem empfänglichen Geist kleidete sich die Revolution in prachtvollen Farben. Dazu kam der Herdeninstinkt. Alle wollten mitmachen. Und wenn es den Eltern nicht passte, war das ein Grund mehr. Nein, nein, deswegen bin ich nicht Mönch geworden. Wir waren ja unschuldig.«
Er schaukelte leicht mit dem Oberkörper hin und her. Ein Zeichen von Unruhe? Oder nur der Rhythmus eines inneren Gebets? Ich sagte leise und eindringlich: »Ich habe von dir geträumt,
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