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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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nicht mehr. Es hört sich komisch für mich an.«
    »Ich weiß. Ich danke dir trotzdem.«
    »Keine Ursache.«
    »Sonam wird sich über das Bild freuen.«
    »Du kannst sie von mir grüßen.«
    »Ja, das werde ich tun.«
    Sie brachte mich zur Tür und schob den Haken hoch.
    Ich zögerte.
    »Was ich dich noch fragen wollte …«
    Lhamo hielt die Tür auf und sah mich an. Ich sprach mit ziemlicher Mühe.

    »Tseyangs kleiner Sohn …«
    »Ja, was ist mit ihm?«
    »Erinnerst du dich, wie er hieß?«
    Sie runzelte die Stirn.
    »Ist das wichtig?«
    »Nein, aber …«
    »Doch, ich entsinne mich«, sagte sie. »Tseyang hatte ihm den Namen Kanam gegeben. Das war auch der Name, den ich der Rotkreuz-Schwester angab, als ich ihr den Kleinen brachte. Aber ich selbst habe ihn nie so genannt.«
    »Und wie nanntest du ihn, Tante Lhamo?«
    Sie stieß die Tür weiter auf, hob den Vorhang, damit ich hindurchschlüpfen, sie in ihrer Einsamkeit zurücklassen konnte. Sie machte auch keine Anstalten, mich zum Abschied zu umarmen.
    »Ach, ich sagte nur ›Kind‹ zu ihm. Ich wollte ihn nicht lieb gewinnen, verstehst du? Chi hatte es mir ja verboten.«

SECHSUNDVIERZIGSTES KAPITEL
    D er Bus kam nach längerer Wartezeit und war überfüllt. Leute standen dicht gedrängt, beladen mit Rucksäcken und Taschen. Alle redeten Chinesisch; ihre Hände flogen hin und her, sie sangen die Worte oder warfen sie mit Gelächter in die Luft. Im Bus war es stickig, Männer und Frauen rauchten. Hübsche junge Leute in modischen Klamotten und Jeans steckten die Köpfe über ihren Handys zusammen. Aus den Handtaschen der Mädchen - Fälschungen bekannter Marken - hingen Plüschtiere in grellen Farben. Es war fast noch hell, im Kyi Chu spiegelten sich rosa Lichter. Ich musste an die vielen Leichen denken, die einst das Wasser getragen hatte. Mein Kopf fühlte sich dumpf und schwer an. Unsere Familie war zerstört, ebenso zerstört wie das Haus der Weiden und der kleine Sommerpavillon am Norbulingka. Der Bus schaukelte in den Löchern auf der Asphaltstraße, und mir wurde übel. Es war, als ob die Gerüche nach fremdem Essen, nach fremdem Atem, nach fremden Kleidern Sauerstoff aus meinem Körper pumpten. Es tat weh, überall tat es weh. Ich hatte vergeblich versucht, einen Einklang zwischen dieser Stadt und mir zu erreichen. Nun fühlte ich mich vollkommen leer, aller Hoffnung beraubt. Das Gefühl war mir widerlich; ich suchte irgendwo in mir eine Ablenkung, fand aber nichts, nur eine vollkommen zwecklose Sehnsucht. Ich hielt es nicht mehr aus in diesem Qualm und Stimmengewirr, stieg aus und schob mich in das Gewimmel der Fußgänger. Die Straßen waren alle gleich. Ich ging vorbei an OK-Bars, an Ramschbuden, Restaurants,
Imbissstuben, lief weiter im Dunst süß-säuerlicher chinesischer Gerichte, umgeben von Staub und Abgasen, von Musikfetzen und Stimmen, von Lärm, Geklingel und dem Knattern von Motoren. Wie die Bewohner zweier verschiedener Planeten gingen Tibeter und Chinesen Seite an Seite vorbei, kamen sich entgegen, wichen einander aus. Ihre gleichgültigen Blicke streiften sich nicht einmal. Sie verachteten einander wortlos, hassten sich in aller Ruhe. Nur den Trieb, zu kaufen, was es gerade gab, zu kaufen, ohne zu überlegen, hatten sie offenbar gemeinsam.
    Beim alten Viertel wurden die Straßen enger und dunkler. Ich kam an zugemauerten Türen vorbei, an blinden Fenstern. Kisten versperrten den Weg, zerbrochene Flaschen und Bierdosen lagen herum. Ich ging wie eine Schlafwandlerin, als ich nach einer Weile eine Gestalt vor mir sah. In der violetten Abendkühle kniete sie auf dem Boden, die braunrote Robe schien einen eigenen schwachen Schimmer auszustrahlen. Die Gestalt betete vor einer Butterlampe, die auf einem Mauersims ihr goldenes Licht warf. Weil Wind aufkam, flackerte die winzige Flamme stark, trotzte aber dem Luftzug mit ungebrochener Lebenskraft. Ich blieb in höflichem Abstand stehen. Der Mönch kam täglich, hatte er mir gesagt. Still und gesammelt betete er vor dem Licht, das da brannte und nicht wich und sein Herz erwärmte. Und während ich den alten Mann beobachtete, fühlte ich mich zunehmend in seine stille Andacht mit eingewoben. Die Art, wie er betete, überzeugte mich davon, dass ihm Buddha wahrhaftig gegenwärtig war. Ich wandte mich verwirrt ab. Zusehen gab immer Verwirrung. Er, der im Kopf Worte sprach, die mir keiner beigebracht hatte, gab mir durch die schlichte Einfalt seines Glaubens neue Kraft. In dem alten Körper da gab es

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