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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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sie zu sich genommen. Alo fiel auf, dass sie sein Hemd gewaschen hatte. Es war noch nass und klebte an ihrem Körper. Darüber trug sie eine Decke.

    »Ich habe dir Kleider mitgebracht«, sagte er.
    Er holte, was er für sie gekauft hatte: eine Hose, zwei Hemden aus guter Wolle, warme Stiefel und eine Tschuba aus Lammfell.
    Ihre Augen weiteten sich vor Staunen.
    »So viele Sachen!«, murmelte sie.
    »Du solltest kein nasses Hemd tragen«, sagte er, »sonst erkältest du dich.«
    Sie nahm schweigend die Sachen und verzog sich hinter einen Felsvorsprung, um sich umzuziehen. Alo schürte das Feuer. Er war völlig unentschlossen, was er mit ihr jetzt anfangen sollte. Das Gescheiteste würde wohl sein, dass sie sich auf den Weg nach Indien machte. Sie schien durchaus in der Lage, Strapazen auszuhalten.
    Sie trat aus dem Schatten, fertig angekleidet, setzte sich zu ihm ans Feuer und gab ihm wortlos sein nasses Hemd zurück. Alo bemerkte wieder, dass es am Rücken einen schmutzigen roten Rand hatte. Sie hatte sich viel Mühe gegeben, aber der Fleck war immer noch da.
    Alo wandte die Augen zu ihr und sagte: »Ich werde dir helfen, den Braunen zu zähmen. Du kannst ihn aber nicht ohne Sattel und Zaumzeug reiten. Ich werde dir das nötige Geld geben.«
    Sie nickte.
    »Das Pferd ist schon - wenn auch nicht oft - geritten worden.«
    Wie hatte sie das bemerkt? Alo starrte sie an. Sie saß da, den Kopf leicht zwischen die Schultern gezogen, und hielt den Rücken sehr gerade. Und auf einmal empfand Alo eine furchtbare Angst, sie zu verlieren. Er wehrte sich gegen dieses Gefühl; eine solche Herzensangst war für ihn neu und schien ihm so vollkommen absurd, dass er sich gegen sie auflehnte.
    »Es wird sich schnell an dich gewöhnen«, sagte er knapp. »Wenn du nach Indien willst, zählt jeder Tag. Der Sommer ist
bald vorbei, aber noch gehen viele Flüchtlinge über die Pässe. Du solltest dich einer Gruppe anschließen. Dann hast du mehr Sicherheit.«
    »Ja, das werde ich tun.«
    Sie zeigte kein Gefühl; sie war ja einverstanden. Trotzdem spürte Alo eine seltsame Verzweiflung in sich aufsteigen. Er musste Sonam ziehen lassen, obgleich sich alles in ihm dagegen wehrte. Tibet war voller tragischer Einzelschicksale. Er hatte diese junge Frau von ihren Verfolgern gerettet, hatte ihr warme Kleider besorgt, und ein Teil des Erlöses, den der Wagen gebracht hatte, gehörte nun ihr. Mehr konnte er für sie nicht tun.
    Sie sprachen an diesem Abend nicht mehr viel. Sobald es dunkel wurde, zog Alo die Decken über sich und versuchte, Schlaf zu finden. Das war für ihn die einzige Möglichkeit, die verstörenden Gedanken abzuwehren. Mehrmals in der Nacht erwachte er. Sonams Atem ging ruhig und gleichmäßig, und sie bewegte sich sehr wenig im Schlaf. Alo drehte ihr den Rücken zu und versuchte, ihre ruhigen Atemzüge zu vergessen. Es war ihr Stöhnen, das ihn gegen Morgen weckte, und dann fuhr er zusammen, denn sie schrie im Schlaf wie ein kleines krankes Tier. Alo hielt es nicht mehr aus. Er warf seine Decke zurück und gab dem Feuer etwas Reisig. Sobald die kleine Flamme aufflackerte, beugte er sich über die junge Frau. Sie wimmerte im Schlaf, mit geschlossenen Augen. Weil sie auf dem Bauch lag, war ihr Nacken ganz verdreht; sie beugte den Kopf viel zu weit vor. Es musste diese unbequeme Stellung sein, die ihr Schmerzen bereitete. Alo legte ihr leicht die Hand auf die Schulter. Die verhaltene Berührung genügte; mit einem Ruck warf sie den Kopf zurück, sodass es in ihrem Nacken knackte. Sie war sofort hellwach. Alo sah im schwachen Licht das angstvolle Glitzern ihrer Augen.
    »Durst?«, fragte er ruhig.
    Sie entspannte sich ein wenig.

    »Ja, Durst«, klagte sie.
    Er füllte Wasser in die kleine Blechschale und brachte sie ihr.
    Sie nahm die Schale, trank gierig. Er merkte, dass ihre Hand heftig zitterte. Im Flammenlicht schien ihr Gesicht seltsam gerötet. Als er ihre Hand berührte, erschrak er: Sie glühte vor Fieber.
    »Du bist krank«, sagte er. »Du hast gestern ein nasses Hemd getragen. Warum nur?«
    Sie sah ihn stumm an, mit dunkel umflorten Augen. Als sie erneut nach der Schale griff, legte er ihr einen Arm um die Schultern, um sie aufzurichten. Diesmal gab sie einen erstickten Schmerzenslaut von sich. Er spürte Nässe unter seiner Hand und wusste, ohne ihn zu sehen, dass der dunkle Fleck sich auch auf dem frischen Hemd wieder ausgebreitet hatte. Alos Gesicht wurde zu Stein. Er hörte allzu deutlich, wie sein Herz

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