Das Haus der Tibeterin
Unterlage aus, strich sie mit einigen Bewegungen glatt und legte sich auf den Bauch. Die zweite Decke wickelte sie fest um sich. Fast augenblicklich wurde ihr Atem ruhig und gleichmäßig. Alo blieb noch eine Weile wach und hing seinen Gedanken nach. Dann ließ er das Feuer ausgehen und legte sich schlafen. Mitten in der Nacht erwachte er und blieb einige Atemzüge lang mit offenen Augen liegen. Etwas hatte ihn geweckt. Was war es nur? Auf einmal hörte er die junge Frau, wie sie sich bewegte und stöhnte. Es waren lang gezogene, kindliche Klagelaute. Ein Frösteln durchlief ihn. Er richtete sich auf.
»Hast du Schmerzen?«
Stille. Er hörte sie atmen. Nach einer Weile vernahm er ihre erstickte Antwort.
»Kaum noch.«
»Durst?«, fragte er.
»Nein.«
Dann wieder Schweigen. Nach einer Weile ging ihr Atem wieder ruhig. Wahrscheinlich hatte sie geträumt.
Kurz vor Tagesanbruch erwachte Alo, schnell wie immer. Er setzte sich auf und lauschte. Er hörte nichts Verdächtiges. Die gewöhnlichen Geräusche der erwachenden Bergwelt waren ihm vertraut. Alo stand auf, faltete seine beiden Decken zusammen und legte sie auf einen Stapel, bevor er den Gürtel festschnallte und seine Pistole in das Holster steckte. Dann
zog er seine Stiefel an und trat in den frischen, kalten Morgen hinaus. Vom Eingang der Höhle ließ er seinen Blick über die Berge gleiten; der Wald lag in Dunkelheit und leichten Nebel gehüllt. Ein Vogel zwitscherte, begrüßte das Tageslicht, das sich schwach und gelb im Osten zeigte. Joru stand träge und entspannt neben der Höhle. Die kleine Sickerquelle rauschte über die Steine, und dort, wo ein dürrer Ast den Lauf behinderte, gurgelte es leise. Alo kauerte sich nieder und wusch sich. Das Wasser war kalt wie geschmolzenes Eis und duftete nach Moos. Als er gewaschen war, knüpfte er seinen roten Turban wieder fest und richtete sich auf. Einige Sterne blinkten noch am Himmel, doch er durfte keine Zeit mehr verlieren. Er ging zur Höhle zurück, entfachte rasch das kleine Feuer und kochte sich Tee mit Tsampa. Als er die kleine Kanne schüttelte, bewegte sich Sonam und setzte sich auf. Ihr Gesicht war noch geschwollen, aber die Salbe hatte ihr gutgetan, und soviel er im Flammenlicht erkennen konnte, bildeten sich bereits Krusten.
Alo zündete sich eine Zigarette an.
»Ich bin bald wieder zurück«, sagte er.
Sie richtete sich schwankend auf. Als sie sich bückte, um ihre Decke zusammenzufalten, sah er das Hemd, das ihm gehörte. Auf dem Rücken, zwischen den Schulterblättern, hatte sich ein großer, dunkler Fleck gebildet. Er runzelte die Brauen.
»Was ist das?«
Er deutete auf ihren Rücken. Sie fuhr zusammen, duckte sich, als ob sie einen Schlag abwehren musste.
»Nichts.«
Alo trank seinen Tee aus und rauchte seine Zigarette. Dann erhob er sich.
»Du kannst Joru zum Bach führen und ihm den Futtersack umhängen.«
Sie nickte wortlos.
»Ich mache dir ein Gewehr bereit«, sagte er. »Für alle Fälle.«
Wieder ein Kopfnicken. Sie nahm die entsicherte Waffe. Alo merkte, dass sie auch damit umgehen konnte. Ohne sich weiter um sie zu kümmern, setzte er seinen schwarzen Filzhut auf den Turban und machte sich auf den Weg.
VIERUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL
A lo kam erst zurück, als die Sonne unterging und lange rote Streifen sich über den Himmel zogen. Er war mit seinem Tag sehr zufrieden. Im Wagen hatte er einen Kanister mit Benzin vorgefunden, sodass er ohne Schwierigkeiten ein Dorf erreichen konnte, in dem er einen Händler kannte. Er hatte den Wagen gut verkauft, nach langem Feilschen allerdings, was dazugehörte. Alo hatte jetzt alle Spuren der Chinesen beseitigt und fühlte sich ziemlich sicher. Dennoch war es besser, hier nicht zu lange zu verweilen. Der Rückweg zu Fuß kostete ihn mehrere Stunden. Die Vorboten des kalten Nachtwinds strichen schon durch den Wald, als er die Höhle erreichte. Von Weitem sah er die junge Frau in ihrer gewohnten steifen Haltung neben seinem Pferd sitzen. Bei seinem Anblick wieherte Joru freudig und schlug mit dem Schwanz. Sonams Lippen deuteten ein Lächeln an, als Alo den Wallach zur Begrüßung streichelte. Sie erhob sich mit steifen Bewegungen, tat einen Schritt und knickte dabei leicht ein. Er fragte sich, ob sie sich nicht doch etwas gebrochen hatte. Doch sie betrachtete ihn ausdruckslos, beide Hände in die Hüften gestützt.
»Müde?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich bin nie müde.«
Sie ging in die Höhle und erhitzte die Glut. Etwas Tsampa hatte
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