Das Haus der Tibeterin
aufgestapelten Töpfen, Decken und Lebensmitteln umher, beugten sich herab, um den Duft der Teeziegel zu schnuppern oder um ein Wolltuch
prüfend zwischen den Fingern zu reiben. Man wusste, dass die Khampa eher aufs Essen verzichten würden als auf ihren schweren Schmuck, ihre Luchs-, Marder- und Persianer, ihre rohseidenen »Tschuba« mit den zwei üppigen Falten im Rücken. Sie waren mit silberbeschlagenen Gewehren bewaffnet, die sie in geheimen Werkstätten selbst schmiedeten, und nur sie selbst kannten die Bedeutung der Zeichen auf dem Stahl ihrer Schwerter und Dolche - Symbole, die, wie es hieß, ihre Träger im Kampf unverwundbar machten. Weil sie Landarbeit und Ackerbau verachteten, blieb ihnen nur die Viehzucht, die ihnen seit jeher als Erwerbsquelle diente, eine Tätigkeit, derer sie sich nicht zu schämen brauchten. Ziegen und Schafe lieferten ihnen ausreichend Wolle und Fleisch, und sie nannten große Yakherden ihr Eigentum. Mit viel Hingabe widmeten sie sich der Aufzucht und Pflege ihrer prächtigen Pferde, die so eigensinnig und mutig waren wie sie selbst. Die Khampa brachten große Geduld für sie auf, denn die Füllen gebärdeten sich äußerst wild, bissen und schlugen aus und nahmen sehr ungern Gebiss und Sattel an. Aber sie wurden immer und unter jeder Bedingung gut behandelt: Nie hatte man gesehen, dass ein Khampa sein Reittier geschlagen hätte. Das Pferd hätte es ihm nicht verziehen. Und noch etwas war über sie bekannt: dass die Khampa seit Menschengedenken die tapfersten Diener Seiner Heiligkeit waren. Ihre Treue war fest wie Granit, und es gehörte zum Bestandteil ihrer Tradition, dass sie die Leibgarde der Dalai-Lamas bildeten. Ihre Aufgabe bestand darin, die Wohnräume Seiner Heiligkeit zu bewachen, während der öffentlichen Zeremonien für Ordnung zu sorgen und dem Dalai-Lama auf seinen Reisen Geleit zu geben. So kam es, dass die Khampa trotz allem bewundert wurden, denn Freiheitsliebe und Prahlsucht waren gleichermaßen die äußeren Merkmale einer Unerschrockenheit, die ihnen im Blut lag. Sie benahmen sich stolz wie die Fürsten, mit denen sie auf vertrautem Fuß verkehrten. Sie hatten im Lauf der Jahrhunderte
einige ihrer Lebensgewohnheiten verändert. Zuerst suchten sie in Hütten Zuflucht vor den Winterstürmen, dann bauten sie Häuser, zinnenbewehrten Burgen ähnlich. Die Herden überwinterten im Freien, wurden aber bei starkem Schneefall in Gehegen untergebracht, damit sie vor wilden Tieren sicher waren. Doch wurde es Frühling, horchten die Khampa auf ihr Nomadenblut und begaben sich mit ihren Herden auf Wanderschaft. Obwohl seit einem guten Jahrhundert halb sesshaft, bewahrten sie die Unbeschwertheit und Sorglosigkeit der Menschen ohne Heim. Und wenn die Verwegensten unter ihnen sich durch Plünderungen bereicherten, nun, dann war es eben ihr Vergnügen. Sie lebten jedenfalls nicht davon.
In manchen Gegenden war es vorgekommen, dass Longsela und ihr Vater von einer Gruppe dieser Nomaden eingeholt wurden. Nach kurzem Wortwechsel steckte ihnen Tenzin ein paar Geldscheine zu, worauf sich die Reiter mit höflichem Gruß wieder entfernten.
»Warum gibst du diesen Männern Geld?«, hatte Longsela ihren Vater einst gefragt. »Betteln sie denn?«
Tenzin hatte leise gelacht.
»Betteln? O nein! Das gereicht ihnen nicht zur Ehre. Aber wir reiten durch ihr Wandergebiet, und sie haben Tribut gefordert.«
»Sie wissen jetzt, dass wir Geld haben. Können sie uns nichts Böses tun?«
»Zahlen wir ihnen Tribut, bürgen sie für unsere Sicherheit. Das verlangt ihr Gesetz. Kein Mitglied ihrer Familie - so nennen die Nomaden ihre Sippe - würde sich fortan trauen, uns zu bestehlen. Ihr ›Gap‹ - ihr Anführer - würde sich entehrt fühlen und dem Dieb den rechten Arm abhacken.«
»Gewiss. Aber erzählt man sich nicht, die Khampa würden sogar die Wanderpilger ausrauben?«
Tenzin schüttelte den Kopf. »So arm, wie diese Pilger sind? Ach, das sind böse Gerüchte.
Außerdem wissen die Nomaden genau, dass Seine Heiligkeit über jeden Pilger seine schützende Hand hält.«
Longsela gefielen die Reiternomaden. Es mangelte ihrem Geist nicht an kriegerischen Fantasien, die in ihr durch Geschichten ausgelöst worden waren, die sie von Knechten und Dienstboten zu hören bekam. Zwar dämpften die durchaus liebevolle, aber strenge Erziehung der Mutter und die geistige Bereicherung, die ihr durch ihren Vater zuteilwurde, ihren lebhaften Charakter. Doch ihre Willensstärke wurzelte in dem sicheren
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