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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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und zufrieden nickte.
    »Sie steht dir gut.«

    »Sie ist schwer«, sagte Longsela leise.
    »Dzi-Steine müssen mit dir wachen und schlafen. Du darfst die Kette nie ablegen.«
    »Das verspreche ich dir.«
    Tesla schloss ihre schönen Augen leicht, nahm Longselas linke Hand in ihre Linke - die Hand des Herzens, wie das Mädchen wusste. Teslas schmale Finger waren kräftig und warm; Longsela fühlte sich ganz geborgen in dieser Hand. Doch während Tesla sie anblickte, gefror ihr Lächeln und verschwand. Sie sagte mit ernster Stimme: »Und jetzt hör gut zu. Sprichst du zu den Dzi-Steinen die richtigen Worte, schenken sie dir ihre magische Kraft.«
    »Was muss ich ihnen sagen?«, fragte Longsela.
    »Die Worte sind ganz einfach, aber sehr mächtig«, erwiderte Tesla.
    Mit leiser, feierlicher Stimme, als ob sie Longsela ein Geheimnis anvertraute, sprach Tesla ihr die Worte vor.
    »Wie das Blut, so rot
    Wie die Erde, so braun
    Wie die Sonne, so gelb
    Steine, erfüllt meinen Wunsch!«
    Longsela prägte sich die Worte ein und sprach sie fehlerlos nach.
    »Gut«, sagte Tesla. »Vergiss diese Worte nie. Sie wirken immer.«
    Longsela, die einen frühreifen Verstand hatte, lächelte ein wenig skeptisch.
    »Warum, als dein Kind erkrankte, hast du dann nicht zu den Steinen gesprochen?«
    Tesla erwiderte ihren Blick. Stufenweise wurde auf ihren Zügen ein neues Lächeln geboren. Als sie antwortete, geschah es mit großer Offenheit und Wärme.
    »O ja, natürlich bat ich um Alos Genesung. Und sieh da! Dein Vater kam, und mein Wunsch wurde erfüllt.«

    Longsela entsann sich, wie Kanam ihren Vater gezwungen hatte, mitzukommen. Tenzin hatte nicht anders gekonnt, als dem Befehl Folge zu leisten. Doch an der schlichten Einfalt von Teslas Glauben zerschellten ihre Zweifel. Sie spürte, dass sie der Frau nicht in den Irrgarten ihrer Gedanken folgen konnte, sondern sich damit begnügen musste, was sie ihr anvertraut hatte. Und wie viel war dies schon gewesen! Und so zeigte sie ihr mit einem glücklichen Lächeln ihre Dankbarkeit. »Und außerdem«, dachte sie, »wer weiß?«
    Draußen vor dem Zelt umarmten sie einander zum letzten Mal. Auch die Großmutter kam, segnete die Gäste und überreichte ihnen weiße Glücksschärpen. Die Dienstboten hatten gut für Jo-Jo gesorgt. Weil das Gras saftig war und hoch stand, hatte der kleine Rappe sogar Fett ansetzen können. Wenn Longsela nicht wollte, dass er träge wurde, war es höchste Zeit, dass sie ihn bewegte. Alle Bewohner des Lagers hatten sich versammelt. Unter freudigen Zurufen und Wünschen für Glück und gute Reise verließ die kleine Truppe das Lager. Kanam ritt zwischen Tenzin und Longsela auf seinem Fuchs, der orangerot im Morgenrot glänzte, während die bewaffneten Gefolgsmänner mit den Dienern die Nachhut bildeten. Kanam hatte mit ausdruckslosem Blick wahrgenommen, dass Longsela jetzt Teslas Kette trug. Was er dabei empfinden mochte, ob Zustimmung oder Missfallen, konnte sie nicht ergründen. Er war ein Mann, der nicht alle seine Gedanken verriet. Sie merkte recht bald, dass der Nomade einen anderen Weg einschlug als jenen, auf dem sie gekommen waren. Eine Abkürzung? Nein, eher ein Umweg, stellte Longsela fest. Was hatte das zu bedeuten? Dann und wann blickte sie ihren Vater an, doch dieser unterhielt sich mit Kanam und schien nicht im Geringsten beunruhigt. Sie waren schon längere Zeit geritten, als Kanam auf einmal seinen Hengst zügelte und auf einen Hügel zeigte, der nicht scharfkantig, sondern abgerundet war und sich in einiger Entfernung erhob.

    »Kushog, seht Ihr den Hügel dort?«, fragte er Tenzin.
    »Ja, er gehört zum alten Gestein«, erwiderte dieser. »Man erkennt es auf den ersten Blick.«
    »In den Hohlräumen findet Ihr dunkelblaue, besonders lichtdurchlässige Türkise. Der Abbau ist nicht ungefährlich, doch die Mühe lohnt sich.«
    »Wo befinde ich mich hier?«, fragte Tenzin. Er breitete eine selbstgezeichnete Landkarte aus und notierte die Stelle, auf die Kanam nach kurzem Nachdenken wies.
    »Das Gebiet ist das Unsrige«, fuhr Kanam fort. »Die Nutzung dieses Hügels ist allein Euch und Euren Nachkommen gestattet. Kein Khampa wird Tribut von Euch verlangen. Die nötigen Befehle wurden bereits erteilt.«
    Beide Männer sahen einander an. Und für einen Atemzug schimmerte in ihren Augen warme Zuneigung und Vertrauen. Tenzin brach als Erster das Schweigen.
    »Hab Dank für dein großes Geschenk!«
    Kanam machte eine Geste, dies alles sei nichts.
    »Ich trage

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