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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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eine Dankesschuld, und mein Sohn trägt sie auch. Wir werden diese Schuld nicht vergessen. Friede sei mit Euch!«
    »Und Friede sei mit dir«, erwiderte Tenzin. »Führt dich dein Weg nach Lhasa, bin ich im Haus der Weiden für dich zu finden.«
    Bei diesen Worten lächelte Longsela, neigte den Kopf zum Abschied. Da verließ Kanams Blick das Gesicht ihres Vaters und richtete sich kurz auf sie. Was für Quellen der Sanftheit in ihm auch immer fließen mochten, er hielt sie sorgsam verborgen. Viele Jahre später sollte sie sich an jenes geheimnisvolle Gefühl des Schwindels erinnern, das dieser Blick in ihr erweckt hatte: der fast körperliche Eindruck eines gemeinsamen Schicksals, reich gefüllt mit Dingen, die nicht begriffen werden können, bevor sie kommen. Doch damals fiel zwischen ihnen kein Wort. Kanam neigte den Kopf, legte stumm die Hand auf
sein Herz, bevor er sein Pferd wendete und sich mit seinen Männern in raschem Trab entfernte.
    Kanam hatte die Wahrheit gesprochen. In all den kommenden Jahren zeigten sich nie Nomaden, die von Tenzin und später von seiner Tochter Tribut verlangt hätten. Mehr noch: Sie hatten sogar das Gefühl, dass verborgene Wächter sie schützten und sie auch in späteren Jahren nie um ihre Sicherheit zu bangen brauchten. Ebenfalls sollte Longsela nie vergessen, wie sie in diesem Hügel ihren ersten Türkis fand, einen verkieselten Klumpen an der frisch ausgegrabenen Wand. Longsela sah einige regenbogenfarbige Kristalle schimmern und rief einen Diener, der mit dem Spaten behutsam das Gebilde aus der Wand löste. Obwohl ganz verkrustet im Sandstein, zeigte der Türkis sein kräftiges blaues Leuchten. Tenzin trat hinzu, als Longsela ihren Fund mit strahlenden Augen betrachtete.
    »Oh, ist der schön!«, rief Tenzin. »Ich gratuliere dir!« Auch die Dienstboten jubelten, wussten sie doch, dass jeder Fund ihnen einige Münzen einbrachte und sie damit recht gut verdienten. Für Longsela war dieser Augenblick ein Markstein in ihrem Leben. Sie wusste unmittelbar und zutiefst, dass ein starkes, urtümliches Gefühl sie mit den Gemmen verband. Übrigens sollte sie an diesem Tag noch mehrere Türkise finden, kleinere allerdings, und mit weniger Leuchtkraft, aber das minderte nicht ihren Stolz. Viele Menschen glaubten, die Steine seien stumm; aber sie waren es nicht, sie lebten. Longsela bestaunte ehrfürchtig ihre unergründliche Weisheit. Denn diese Steine waren so alt wie die Welt, hatten das Werden der Kontinente gesehen, Leben und Tod erfahren. »Ein Türkis ist ein Stück Himmel«, hatte Tenzin einst zu ihr gesagt. Longsela war voller Dankbarkeit und Freude. Denn wer den Himmel in den Händen hält, ist glücklich.

ELFTES KAPITEL
    B ald aber nahm Longselas Leben eine andere Wendung, denn die Eltern schickten sie nach Indien, in ein amerikanisches Methodisten-Internat in Darjeeling. Ihre Mitschülerinnen waren Engländerinnen, Amerikanerinnen und Anglo-Inderinnen. Longsela fand sich in nüchterner Weise damit ab, dass sie Dinge zu lernen hatte, die für ihr zukünftiges Leben wohl wichtig sein konnten. Ihr Vater hatte ja auch in Indien studiert. Als er Longsela zu der Missionsschule schickte, fiel der Umstand, dass die Lehrerinnen einer anderen Religion angehörten, nicht im Geringsten ins Gewicht. Tibeter lernen früh, der Meinung anderer gegenüber tolerant zu sein, und hatten kein Vorurteil gegen Leute anderen Glaubens. Während Longselas erstem Jahr in Indien jagten sich die Eindrücke; trotzdem wurde es für sie ein glückliches Jahr. Unbekannte Leute zu treffen machte sie nicht befangen, sondern offen und neugierig. Ihre Lehrerinnen schienen ihr modern, fortschrittlich, energisch, obwohl fremdartig in fast allem. Longsela trug gern ihre Schuluniform, ließ es gutmütig zu, dass sie neben ihrem tibetischen Namen einen englischen Schulmädchennamen, nämlich Margaret, tragen sollte. Das Lernen machte ihr Spaß. Vielleicht zog sie aus ihren Unterrichtsstunden größeren Nutzen als ihre Gefährtinnen, die mit ihr in der gleichen Bank saßen, fast alle aus wohlhabenden, ja sogar herrschaftlichen Familien stammten und fast alle nur eine standesgemäße Heirat im Sinn hatten. Und wenn sie oft an die Ritte an der Seite ihres Vaters dachte, an ihre seltsame Zeit bei den Nomaden, kannte
ihr Herz keine Wehmut. Anderseits riefen die Erlebnisse bei den Khampa nach wie vor befremdende Erinnerungen in ihr wach. In irgendeiner Weise verknüpfte sie immer wieder diese Begegnung mit ihrer ruhelosen

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