Das Haus der Tibeterin
Hände rieseln ließ, mit dem gleichen sinnlichen Vergnügen, das auch Longsela vertraut war. Er gab die Gemmen nur bei den besten Gold- und Silberschmieden in Arbeit, damit der Schmuck, wie er in seinem talentvollen Sprachgemisch verkündete, »die zarte Haut edler Frauen zum Strahlen bringt«.
»Ich will dir sagen, was ich denke«, sagte Paldor. »Bloß kann ich dir nicht sagen, warum ich so denke.«
Sie streichelte zärtlich sein abgemagertes Gesicht.
»Also, wie sieht es aus?«
»Ich habe Angst. Ich warte ständig auf Gefahren, die uns zustoßen könnten.«
»Bist du krank?«
»Mein Kopf schmerzt ununterbrochen.«
»Das sind nur die Gedanken«, sagte sie zärtlich. »Worüber denkst du denn so angestrengt nach?«
»Darüber, wie die Dinge sich so verändern.«
»Wenn du nicht willst«, erwiderte sie sanft, »dann reisen wir nicht.«
Er seufzte, drückte seine Stirn an ihre Stirn, die glatt und kühl war.
»Die Chinesen, das muss man ihnen lassen, bauen gute Straßen und sorgen für Ordnung. Und ab Shigatse, solange das Wetter gut ist, gehen die Karawanen ja täglich über die Pässe.«
»Also, was meinst du? Einverstanden?«
»Es geht wohl nicht anders«, sagte er. »Aber warten wir, bis Lhamo wieder da ist.«
Sie drehte den Kopf so, dass sie mit den Lippen seinen Hals berührte.
»Lhamo wird sich gut um die Mola kümmern.«
»Ja«, sagte er dumpf. »Die Mola ist ja selbst wie ein Kind.«
Yangzoms Zustand besprachen sie nie mit brutaler Direktheit. Das wäre respektlos gewesen. Die Mola war glücklich, so wie sie war. Manchmal war ihr Geist weg, einfach weg, wie der Kreidestrich weg ist, wenn man die Tafel abgewischt hat. Aber das machte ihr nichts aus, und man musste es akzeptieren. Sie saß den ganzen Tag, spielte mit ihrem Hündchen Deki oder wanderte durch alle Zimmer, ein leichtfertiges Lied summend, das aus ihrer Jugend stammte. Im Haus gab es sozusagen nichts, was nicht bereits vorhanden gewesen wäre, als
sie noch jung war. Alle Farben und Formen und Geräusche einer weit zurückliegenden Zeit hatten sich in ihr Gedächtnis eingeprägt. Doch ihre Erinnerung löste sich auf. Sie freute sich immer, wenn Sonam kam und sich auf ein Kissen ihr zu Füßen niederließ. Sonam, die wie ein kleiner Junge aussah, die wirres Lockenhaar hatte und Augen, die Dinge sehen konnten, die andere vielleicht nicht sahen. Sonam hielt Deki auf ihrem Schoß und beobachtete dabei die Mola aufmerksam und genau, nahm sie wie eine helle Gestalt wahr, eine Gestalt in der Mitte. Die Mola interessierte sich eigentlich nicht dafür, was heute in Lhasa geschah und warum die vielen Soldaten hier waren. Alles Chinesen? Wie merkwürdig! Was hatten so viele Chinesen in Lhasa zu suchen? Sonam sagte, sie wüsste es auch nicht, die Chinesen seien einfach da. Sie erzählte lieber von ihrer Stute Dakini. Die Mola wusste eine ganze Menge über Pferde. Sie hatte ja einen eigenen Rennstall besessen.
»Zu Pferd siehst du alle Dinge ganz anders«, sagte die Mola. »Reiten ist eine geistige Übung. Sind die Pferde glücklich, verbreiten sie einen guten Geruch. Ein gepflegtes Pferd riecht nie aus dem Mund!« Sie erzählte von früher, als sie selbst eine gute Reiterin gewesen war. Wenn Sonam ihre Stirn an die Knie der Mola drückte, glaubte sie zu träumen. Sie war die Einzige, die Sinn für Großmutters Vergangenheit hatte, die von ihren Schilderungen nie genug bekam. Kelsang? Ach, Kelsang dachte nur an seine Bücher. Er hatte immer ein Buch in den Händen oder eines unter dem Arm. Und Lhamo? Wo ist Lhamo? Yangzom stellte täglich diese Frage. »Lhamo ist in einer Schule, in Peking«, antwortete Sonam dann mit gleichbleibender Geduld. Sie saß mit untergeschlagenen Beinen, Yangzoms fettes kleines Hündchen auf dem Schoß, umgeben von einem Regenbogen aus Erinnerungen. Es kam vor, dass die Mola die Hand hob: »Hör doch, Sonam! Da ist jemand im Garten, der die Dran-nye stimmt!« Sonam lauschte angestrengt und hörte zunächst nichts, aber hörte die Großmutter Musik, war die
Musik auch vorhanden. Und - ja, es dauerte nicht lange, da hörte Sonam sie auch, so nahe und deutlich, dass sie ganz glücklich wurde, sich im Takt der Musik wiegte und singen und tanzen wollte. Mit der Stimme der Großmutter kamen Geräusche und Gerüche von früher wieder, Gelächter und Musik und das Trommeln von Pferdehufen. Sonam legte den Kopf leicht schief, kniff die Augen zusammen. Sie lauschte auf die geflüsterten Worte, auf die leichten Seufzer, auf
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