Das Haus der toten Mädchen
gehüllt war, eilte mit gesenktem Haupt hinter ihm her. Ihre Schürze war steif vor Stärke.
„Du fängst in der Küche an, Addy“, wies Zebulon sie an. „Perley und ich sehen nach, was mit dem Dach los ist. Ms. Averill meinte, dass es vielleicht Wasserschäden gibt.“ Aus seinem Munde klang das, als wäre hier die Pest ausgebrochen.
Griffin machte sich nicht die Mühe, ihn aufzuklären. Er hatte den letzten wirklich freien Sommer seines Lebens mit Zimmermanns- und Gartenarbeiten für Peggy Niles zugebracht und wusste gut genug, an welcher Seite man einen Hammer anfasst, um einschätzen zu können, wie schlimm der Wasserschaden war: Ein versierter Schreiner würde das in ein, zwei Tagen erledigen können.
Er hatte auch sein erstes Haftjahr in der Gefängnisschreinerei zugebracht. Am Ende war er gut gewesen, verdammt gut. Für Peggy hatte er ganz kurz vor seiner Verhaftung einen Picknicktisch und eine verspielte Gartenlaube gebaut, und die Stücke waren hervorragend gewesen: eher Kunst als Handwerk. Am Tag seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte er der Holzbearbeitung den Rücken gekehrt und nie wieder einen Hammer in die Hand genommen. Diese Art von Beschäftigung war zu sehr mit dem Albtraum seines Lebens verwoben.
Manchmal fehlte ihm die Bastelei. Seit er sich im baufälligen Whitten-Haus eingenistet hatte, juckte es ihn in den Händen, hier ein verrottetes Fensterbrett auszutauschen und dort ein Fenster instand zu setzen, bevor ihm die Scheibe entgegenkam. Dennoch hatte er nichts angerührt. Heute konnte er es sich leisten, Leute für solche Arbeiten zu engagieren. Er musste das nicht selbst machen. Und er wollte sich nicht an jenen Jungen erinnern, dem das Gewicht der Werkzeuge in seinen Händen Befriedigung und Lebensfreude verschafft hatte.
„Fangen Sie dort an, wo Sie möchten“, sagte er. Nun kam auch Zebs „Junge“ zur Tür herein. Er war gut und gerne fünfunddreißig, blickte ebenso finster drein wie sein Vater, schien aber nicht halb so gerissen zu sein. „Gehen Sie aber vorerst nicht ins Schlafzimmer. Ich habe dort Arbeit liegen und will nicht, dass die Sachen durcheinander fliegen.“
„Ihre Arbeit interessiert uns nicht“, erwiderte Zeb. „Wir sind nur hier, um das Haus in Schuss zu bringen. Und Sie halten sich von meiner Frau fern!“
In dem Moment entschwand Addy in die Küche. Die Frau war auch schon über sechzig und sah aus wie ein Sack Kartoffeln. Ihr eisengraues Haar war in lauter kleine, unnatürlich wirkende Locken gedreht: eine Frisur, die vermutlich während ihres ganzen Lebens nie richtig in Mode gewesen war. „Ich werde der Versuchung widerstehen“, entgegnete Griffin trocken.
Zebulon King entging der ironische Unterton. „Das will ich Ihnen auch geraten haben.“
Die Frau machte einen Riesensatz, als er die Küche betrat. Sie hatte schon angefangen, das Wachstuch zu schrubben, mit dem der Küchentisch abgedeckt war, und starrte ihn nun an, als wäre er ein Höllenhund. Oder der Mann, der ihre Tochter umgebracht hatte.
Er konnte sich nicht entsinnen, ob sie beim Prozess dabei gewesen war. Er hatte damals außer seiner Sonnenbrille keine Sehhilfe besessen, und sein völlig unfähiger Pflichtverteidiger war der Ansicht gewesen, ein jugendlicher Rumtreiber, der im Zeugenstand seine Sonnenbrille trug, gebe ein schlechtes Bild ab. Es war also durchaus möglich, dass Addy King im Auditorium gesessen, ihn die ganze Zeit angeschaut und sich seine Züge eingeprägt hatte, die sich in ihrem Kopf mit unauslöschlichem Hass verbunden hatten.
Er traute ihr so einen energischen Zug jedoch nicht zu. Sie konzentrierte sich darauf, den Tisch zu schrubben, während er sich eine Kanne Kaffee kochte.
„Brauchen ein neues Wachstuch“, flüsterte sie mit kaum vernehmlicher Stimme.
„Wird Wachstuch heute überhaupt noch verkauft?“ Er bemühte sich, nett und harmlos zu klingen.
Sie blickte nicht auf. „Bei Audley’s schon. Bei Audley’s gibts alles zu kaufen.“
„Auch ein neues Leben?“ murmelte er.
„Was?“ Ihr Kopf fuhr hoch. „Ich bin schwerhörig.“
„Ich rede bloß mit mir selbst“, antwortete er. Er lehnte sich gegen die Spüle und sah zum See hinaus, der durch die Bäume glitzerte. Das Wasser wirkte trügerisch friedlich, als hätte der blutgetränkte Körper seiner ermordeten Freundin nie darin getrieben. Der Anblick weckte in ihm keine Erinnerungen an Tod und Verzweiflung, sondern erfüllte ihn, im Gegenteil, mit einer seltsamen Gelassenheit. Aber in
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