Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
hast gesagt, wir müssten das Dienstmädchen entlassen …«
»Ja! Unbedingt und sofort! Sie war dort, Hetty – sie ist mit den anderen Ratten geflohen, als die Polizei ihr Nest gestürmt und sie aus ihrem Loch getrieben hat. Ich habe sie gesehen! Ich habe sie sogleich erkannt!«
»Das muss ein Irrtum sein, Bertie. Was, um Himmels willen, hätte Cat in Thatcham zu suchen, und obendrein beim Glücksspiel? Sie kann es gar nicht gewesen sein – sie lag oben in ihrem Bett, da bin ich mir sicher!«
»Nein, nein, bist du nicht. Ich habe sie gesehen , Hester. Eine Lügnerin und Glücksspielerin, und zweifellos eine wollüstige Dirne obendrein …«
»Aber du musst dich irren«, beharrt Hester.
»Ich will sie aus dem Haus haben. Sie wird uns alle ins Verderben stürzen.«
»Nein, Albert! In dieser Sache musst du auf mich hören – bitte. Du irrst dich. Sie ist ein gutes Mädchen! Sie arbeitet hart.«
»So weit ist es also schon gekommen, dass meine eigene Frau an meinem Wort zweifelt«, erwidert Albert kalt. »Lass sie kommen und frage sie. Frage sie, und dann werden wir ja sehen, wie tief die Wurzeln ihrer Verlogenheit reichen!«
Hester findet Cat im Schlafzimmer, wo sie gerade das Bett frisch bezieht. Die schmutzigen Laken liegen auf einem Haufen an der Tür. Hester steigt darüber hinweg und stellt fest, dass ihre Füße plötzlich bleischwer sind und ihre Zunge hölzern im Mund liegt. Sie lächelt schwach, als Cat aufblickt, und bemerkt die dunklen Schatten unter ihren Augen. Ihre Schuhe wurden offenbar gründlich gebürstet, sehen aber immer noch schmutzig aus.
»Verzeihung, Madam. Ich brauche nur noch einen Augenblick, aber ich kann das auch später fertig machen, wenn Ihnen das lieber wäre?«, fragt Cat leise.
»Nein, nein, Cat. Ist schon gut. Ich wollte eigentlich mit dir sprechen«, sagt Hester widerstrebend. Cat breitet energisch die Arme aus, und ein sauberes Bettlaken bläht sich in der Luft und sinkt langsam und hervorragend gezielt genau in die richtige Position aufs Bett. Sie zupft noch ein paarmal daran, dann richtet sie sich auf und wendet sich Hester zu. Ihr Ausdruck gelassener Resignation sagt Hester, was sie wissen will, noch ehe sie ihre Frage gestellt hat. »Es ist also wahr? Du warst gestern Nacht in Thatcham? Beim Glücksspiel? Mein Mann sagt, er hätte dich dort gesehen …« Sie verstummt und wird sich überrascht gewahr, wie ihre Nerven flattern und dass sie noch immer gehofft, ja darum gebetet hat, das Ganze möge ein Irrtum sein.
»Er hat mich dort gesehen, das stimmt. Aber ich habe nicht gewettet, Madam«, sagt Cat und sieht Hester geradeheraus und unerschrocken an mit diesem dunklen, beunruhigend starren Blick.
»Ach, Cat! Wie konntest du nur? Wie … wie bist du überhaupt dorthin gekommen?«
»Ich habe mir das Fahrrad des Reverend ausgeliehen. Das habe ich schon oft getan«, antwortet Cat und reckt trotzig das Kinn, als forderte sie Hester geradezu heraus, sie dafür zu tadeln. Hester starrt sie eine Weile fassungslos an, bis Cat fortfährt: »Ich nehme an, ich bin entlassen?«, fragt sie, und obwohl sie immer noch trotzig wirkt, zittert ihre Stimme ganz leicht.
»Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Wenn der Reverend herausfindet, dass du sein Fahrrad genommen hast … Und das hast du schon oft getan?«, haucht Hester. »Aber wozu? Wann schläfst du?«
»Ich schlafe sehr schlecht, Madam. Seit ich im Gefängnis war, kann ich nicht mehr richtig schlafen. Und Sie haben mir nie gesagt, dass ich nicht aus dem Haus dürfte, wenn der Tag um ist. Das hat mir niemand verboten! Ich wollte doch nur ein wenig vom Leben außerhalb dieser vier Wände kosten. Ist das ein Verbrechen?«
»Nein, das ist kein Verbrechen, Cat! Aber es schickt sich nicht! Diese Wirtschaften in Thatcham, und dann zu nächtlicher Stunde, ohne Begleitung … Ein Pub ist kein Ort für eine junge Frau, ganz allein! Dir hätte alles Mögliche zustoßen können! Die Leute hätten das Allerschlimmste von dir denken können! So etwas gehört sich einfach nicht, Cat! Ich habe es dir nie ausdrücklich verboten, weil ich gar nicht auf den Gedanken gekommen wäre, dass man dir das sagen müsste! Und du weißt ganz genau, dass ich damit recht habe!«, ruft Hester aus. Sie kann nicht verhindern, dass ihre Stimme immer lauter wird.
»Ich war nicht immer ohne Begleitung dort«, murmelt Cat.
»Ach, und wer hat dich begleitet? Nicht Sophie Bell, so viel steht fest …« Hester gerät ins Straucheln, als ihr klar
Weitere Kostenlose Bücher