Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
nehme es nicht an.« Er reckt stur das Kinn.
»Doch, das wirst du. Und wenn es mehr ist als das, was du für meine Freiheit bezahlt hast, dann kannst du den Rest behalten und für dein Boot zurücklegen. Unser Boot. Unsere Zukunft, und unsere Freiheit«, erklärt sie ernst. George sieht sie durchdringend und nachdenklich an.
»Dann … willst du mich also heiraten?«
Cat wendet den Blick ab und nestelt eine Weile stumm an den Kordeln ihres Geldbeutels. »Nein, George. Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe. Aber ich gehe mit dir fort, wenn du mich mitkommen lässt. Wird es reichen? Wenn ich die nächsten fünf Pfund habe – reicht das dann, um uns eine Wohnung zu nehmen, das Ausflugsboot zu kaufen und damit ganz neu anzufangen?«, fragt sie hoffnungsvoll.
»Das wäre mehr als genug. Aber …«
»Nein, kein Aber! Sag, dass ich mitkommen kann! Sag mir, dass ich dieses Leben verlassen kann, das ich hasse, und dass du mir ein anderes geben wirst.«
»Als meine Frau , Cat, hättest du all das und noch mehr«, fleht er. Cat drückt ihm den Geldbeutel in die Hand und öffnet den Mund, um etwas zu erwidern, doch dazu kommt sie nicht mehr.
Schrille Pfiffe zerreißen die Luft, und die Tür zum Hauptraum wird unter lautem Krachen und Kreischen split ternden Holzes aufgerissen. Polizisten stürmen herein, blasen in ihre Trillerpfeifen und leuchten mit starken Lampen die Spieler an, die ihren Gewinn einsammeln, und die Verlierer, die ihre Wettscheine zerreißen. Sie verteilen sich fä cherförmig, um möglichst viele von ihnen einzufangen. Wie Käfer huschen sie in ihren dunklen Uniformen und Helmen herum. Sofort versucht jeder der Anwesenden, sich möglichst weit von den blutenden Vögeln zu entfernen und seinen Wettschein loszuwerden oder damit zu entkommen, um ihn später einzulösen. Eine Woge von Menschen rauscht zur Hintertür, die hastig geöffnet wird, und die Menge reißt Cat von den Füßen und schwemmt sie mit sich fort wie ein Stück Treibholz.
»He!«, brüllt George und hechtet ihr hinterher.
»Stehen bleiben! Alle sofort stehen bleiben!«, brüllt einer der Polizisten. Mit geprellten und schmerzenden Rippen kämpft Cat darum, die Füße wieder auf den Boden zu bekommen. Plötzlich ist die Luft lieblich und klar, und sie er kennt, dass sie geradewegs zur Tür hinausgetragen wurde. Sie sieht sich um, kann aber inmitten all der zappelnden Leiber keine Spur von George entdecken. Weitere Pfeifen schrillen, und schwere, schnelle Schritte in Polizeistiefeln dringen an ihre Ohren.
Die Polizisten sind von vorn in das Gebäude eingedrungen und haben dahinter ein Netz aufgespannt, um die flüchtenden Glücksspieler einzufangen. Cat kämpft sich bis an den Rand des Handgemenges durch und weicht einem Polizisten nach dem anderen aus. Plötzlich wird sie von hinten umgerannt – ein fliehender Mann hat sich den Hut so tief ins Gesicht gezogen, um nicht erkannt zu werden, dass er Cat übersehen hat und sie zu Boden stößt. Ihr wird die Luft aus der Lunge gepresst, und sie bleibt eine Sekunde lang atemlos liegen. Dann erhebt sich eine Stimme über die Trillerpfeifen und das Ächzen und Stöhnen niedergerungener Männer, eine laute Stimme, die irgendwie fehl am Platze wirkt. Cat blickt auf und sieht Albert Canning durch die Dunkelheit näher kommen, mit einer Glut in den Augen, die ihm den Weg zu leuchten scheint. Er tritt in den Lichtschein, der aus der offenen Tür des Pubs fällt, und auf seinem Gesicht spiegelt sich so wenig klarer Verstand, dafür aber umso mehr glühende Überzeugung, dass Cat ein Schauer über den Rücken läuft. Obwohl sie den Pfarrer verachtet und ihn in den vielen Wochen, die sie schon unter einem Dach mit ihm lebt, nur selten überhaupt zur Kenntnis genommen hat, fürchtet sie sich plötzlich vor ihm. Sein Lächeln wirkt krank, beinahe geistesgestört.
»Bereuet! Werdet euch eurer Fehler gewahr! Eurer schweren Sünden! Kehret um von diesem törichten und gefahrvollen Weg, der ins Verderben führt, in euren Untergang und den Untergang all dessen, was rein und wahr und gut ist auf dieser Welt!«, schreit der Pfarrer mit schriller, aufgeregter Stimme. Aus seinem Gesicht leuchtet ein so glühender Eifer, dass selbst die elektrischen Lampen des Hinterzimmers davon überstrahlt werden. Cat rutscht das Herz in die Magengrube, und ihr Bauch kribbelt vor Angst. Sie hustet, ringt nach Luft, zuckt zurück, als gestiefelte Füße an ihr vorbeidonnern, dicht neben ihrem Kopf, ihren Händen und Beinen.
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