Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
Sonnenstrahlen zwischen den Vorhängen hindurchstechen, um sie erneut zu wecken, sieht sie, dass Alberts Kissen völlig glatt ist, das Laken auf seiner Seite des Bettes noch vollkommen straff gespannt. Er war noch auf, in eine Unterhaltung mit Robin Durrant vertieft, als sie am Abend ins Bett ging. Nun sieht es so aus, als hätte er, wenn überhaupt, dann jedenfalls nicht in seinem Bett geschlafen. Hester kleidet sich so ordentlich an, wie sie kann, ohne Cat zu rufen. Sie ist unerklärlich beunruhigt, seit sie gesehen hat, wie Cat und Robin Durrant sich miteinander auf dem Hof unterhielten. Er wirkte so erregt und ging rastlos auf und ab. Wie dicht er vor Cat gestanden, wie wild er gestikuliert hatte, all das erschien Hester zu vertraut. Als kennten die beiden einander gut, als bestünde da irgendeine Beziehung, von der sie nichts weiß. Amelia hat Robin als schön bezeichnet – vielleicht findet Cat das ja auch.
Sie steckt sich das Haar hoch, betupft die Wangen mit ein wenig Puder und geht im Morgenkleid hinunter. Albert sitzt im Salon, die Hände auf den Knien, und starrt geradeaus. Seine Hosensäume sind von Staub und Schmutz verkrustet, ebenso die Schuhe. Von Robin Durrant ist nichts zu sehen.
»Albert! Fehlt dir etwas? Wo warst du denn?«, fragt sie, tritt dicht zu ihm und nimmt eine seiner schlaffen Hände. Langsam blickt er zu ihr auf, wie ein sehr alter Mann, und blinzelt ein-, zweimal, ehe er sie offenbar erkennt.
»Hetty! Ich habe auf dich gewartet. Bitte verzeih, ich war zu aufgewühlt, um zu Bett zu gehen. Ich hielt es für das Beste, dich vorerst nicht zu stören …«, murmelt er.
»Mich stören? Warum? Was, um alles in der Welt, ist denn geschehen?« Hester hält seine Hand ganz fest. Es gefällt ihr nicht, dass sein Blick wie aus großer Ferne auf sie fällt und seine Stimme so schwer klingt, vollgesogen mit Erschöpfung und Verwirrung.
»Ich fürchte, wir bergen eine Ausgestoßene in unserer Mitte … einen Schandfleck, ein Element der Fäulnis und Verderbtheit, das die Reinheit unseres Hauses besudelt«, sagt Albert und verzieht dabei das Gesicht, als hinterließen seine eigenen Worte einen üblen Geschmack.
»Ein Element der Fäulnis? Albert, ich bitte dich, du redest Unsinn!«
»Das Dienstmädchen. Die Dunkelhaarige. Wir müssen uns ihrer auf der Stelle entledigen«, erklärt er entschiedener.
»Cat? Aber warum denn? Was ist mit ihr geschehen?«, fragt Hester ängstlich. Verderbtheit . Sie denkt daran, wobei Amelia ihren Ehemann ertappt hat, und an die ungebührliche Vertrautheit, die sie selbst zwischen Cat und Robin beobachtet hat. Ihre Kehle wird schlagartig trocken. »Ist es Mr. Durrant?«
»Was? Wie meinst du das? Mit Robin hat das nichts zu tun! Ist er wieder da? Ist er schon aus den Auen zurück?« Albert erhebt sich halb von seinem Stuhl, um sich gleich darauf matt zurücksinken zu lassen.
»Ich weiß es nicht, Albert. Wo hast du überhaupt geschlafen?«
»Nein, nein, ich konnte nicht schlafen. Ich kann nicht schlafen. Ich muss über zu vieles nachdenken. Das Mädchen muss von hier verschwinden, so bald wie möglich. Kein Wunder! Kein Wunder, dass es mir nicht gelungen ist! Besudelt! Von Verkommenheit … Verkommenheit beschmutzt alles, womit sie in Berührung kommt …« Albert reißt abrupt die Hände hoch, und tiefe Verzweiflung zeichnet sich auf seinen Zügen ab.
»Verkommenheit? Was meinst du mit Verkommenheit?« Hester kann seinen Gedanken kaum folgen, sie geht neben ihm in die Hocke und versucht, in seinem Gesicht zu lesen. Doch es ist ihr verschlossen, und Gedanken, die sie nicht deuten kann, wirbeln hinter seinen glasigen Augen herum. Urplötzlich schießen ihr heiße, brennende Tränen in die Augen. »Bertie, bitte . Erkläre es mir doch«, fleht sie. Albert blickt auf sie herab und lächelt traurig.
»Natürlich verstehst du das nicht. Du, die du alles bist, was eine Ehefrau sein sollte«, sagt er. Hester erwidert sein Lächeln, denn sie ist froh, dass zumindest der Streit nach ihrer unerwünschten Liebkosung vergessen scheint. »Vergangene Nacht bin ich mit der Polizei zu einer berüchtigten Spielhölle in Thatcham gegangen. Ich wollte die Männer dort dazu bringen, ihren Lebenswandel zu ändern und diesen gottlosen Zeitvertreib aufzugeben … Ich habe versucht, ihnen zu erklären, wie sehr sie sich selbst damit schaden, uns allen … der ganzen Menschheit!«
»Aber was hat das denn mit Cat zu tun?«
»Mit Cat? Wer ist Cat?«
»Das Dienstmädchen , Bertie. Du
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