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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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alles verändert hat, seit deine Urgroßmutter hier lebte. Damals gab es noch keinen dieser Seen. Die A4 war einfach nur die London Road, auf der noch praktisch alles von Pferden gezogen wurde«, bemerkte Leah. Sie fühlte sich dieser Frau so nahe, wenn sie ihre Briefe las, konnte beinahe ihre Stimme hören. Dann blickte sie sich um und fand sich um einhundert Jahre in eine andere Welt zurückversetzt. »Und die Bluecoat School voller Kinder, voller Leben. Heute bietet sie irgendwie einen traurigen Anblick, findest du nicht? Wie sie da steht und der ganze Verkehr an ihr vorbeirauscht.«
    »Tja, genau das will die Stadt ja ändern. Es gibt jetzt eine Stiftung, die Geld sammelt, um sie zu einer Art Gemeindehaus auszubauen«, erzählte Mark ein wenig abwesend. Er hatte einen langen Grashalm gepflückt und zupfte die vertrockneten Samen vom vergangenen Jahr mit dem Daumennagel ab. Hoch über ihren Köpfen kreisten zwei Bussarde, deren ferne Rufe ganz kurz vom Wind zu ihnen herabgetragen und dann davongeweht wurden.
    »Gibt es eigentlich Fotos von Hester? Oder von Albert? Im Haus, meine ich?«, fragte Leah plötzlich.
    »Das glaube ich nicht. Tut mir leid. Ich erinnere mich daran, dass ich als Kind mal welche gesehen habe, aber sie sind mir seit Jahren nicht mehr untergekommen. Gut möglich, dass Dad sie weggeworfen hat. Als die Demenz einsetzte, hat er ein paar seltsame Dinge getan. Aber wir können nachschauen, wenn du möchtest?«, bot er ihr an. Leah nickte. Die Story nahm in ihrem Kopf bereits Gestalt an, obwohl noch mehr Lücken offen waren, als sie bereits geschlossen hatte. Sie sah einen langen Artikel vor sich, mit Fotos und Auszügen aus den Briefen, in dem alles offen auf den Tisch kam, alles aufgeklärt wurde. Obwohl Leah diesen Gedanken nicht bewusst so formulierte, hatte sie das Gefühl, dass sie das für Hester Canning tat – ein Gefallen, den sie einer längst verstorbenen Fremden erwies.
    »Wie hat sie denn angefangen? Seine Demenz?«, fragte sie sanft.
    Mark ließ sich mit der Antwort ein wenig Zeit, als wollte er sich genau erinnern. »Ganz allmählich. Etwa um die Zeit, als ich an die Uni gegangen bin, nehme ich an. Jedenfalls erinnere ich mich, dass er das letzte Mal so war, wie ich ihn kannte. Und meine Mum hat noch gelebt – sie waren so stolz, die beiden. Niemand hätte je gedacht, dass ich auch nur den Schulabschluss schaffe.« Er grinste schief.
    »Warum, warst du so ein Rabauke?«
    »Nein, ich war lammfromm. Aber ich bin Legastheniker, und die Schule, auf der ich war, hat nicht an Legasthenie geglaubt.«
    »Oh, verstehe. Sehr fortschrittlich.«
    »Allerdings. Aber Zahlen – mit Zahlen komme ich klar. Also habe ich mich auf Mathematik gestürzt und dann Finanzwirtschaft studiert. Alles ist besser gelaufen, als sich irgendwer hätte vorstellen können, und sie haben sich so für mich gefreut. Als ich meinen Abschluss gemacht habe, fing es damit an, dass Dad einzelne Wörter nicht finden konnte. Er hat einen Satz nur halb zu Ende gesprochen und ist dann hängen geblieben, weil er nach dem nächsten Wort gesucht hat. Und das waren keine besonders schwierigen Wörter – ›Auto‹ oder ›dann‹ oder ›Februar‹. Ganz normale Wörter, die ihm einfach entglitten sind. Während der ersten paar Jahre haben wir alle darüber gelacht«, erzählte er niedergeschlagen. Leah wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Zumindest«, versuchte sie es dann zögerlich, »macht das Pflegeheim einen netten Eindruck. Da hört man ja wahre Horrorgeschichten über manche Heime … Immerhin hast du ihn in einer sauberen, freundlichen Einrichtung untergebracht, wo er gut versorgt wird«, wagte sie sich weiter vor.
    »Manchmal glaube ich, es wäre besser, er wäre gestorben«, erwiderte Mark düster.
    »Sag so etwas nicht.« Leah runzelte die Stirn. »Du weißt ja nicht, was er denkt – gut möglich, dass er die meiste Zeit über ganz zufrieden ist.«
    »Glaubst du das wirklich?«, fragte er mit einem verzweifelten Unterton in der Stimme. Sie blieben stehen und wandten sich einander zu.
    »Ja, das glaube ich. Es wäre natürlich falsch, das als Segen zu bezeichnen, aber Demenzkranke sind sich ihres Leidens die meiste Zeit über gar nicht bewusst«, erklärte sie sanft.
    »Das als Segen zu bezeichnen wäre allerdings falsch«, gab Mark traurig zurück. »Ich bin nur … Jedes Mal, wenn ich Dad besuche, gerate ich in so eine Spirale grässlicher Gedanken. Warum er? Warum so jung? Womit hat er das verdient?«
    »Ich

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